Das Moorhuhn-Trauma

Völlig nutzlos herumsitzen und auf einmal wieder wer sein, auch wenn das Thema eigentlich durch ist? Ein „Spiegel“-Gespräch mit dem Therapeuten Dr. Ernst Jäger

Dr. Jäger: „Guten Tag. Lange nicht gesehen. Wie geht es Ihnen?“

Spiegel: „Ich fühl’ mich ziemlich ausgebrannt. Wissen Sie, die letzten Monate waren doch sehr anstrengend für mich.“

Dr. Jäger: „Kann ich mir vorstellen. Die CDU-Affäre hat sicher viel Kraft gekostet?“

Spiegel: „Na ja, wenn ich ehrlich bin – da bin ich weniger involviert. Eigentlich gar nicht.“

Dr. Jäger: „Sagten Sie bei der letzten Sitzung nicht, Sie seien an einem heißen Thema dran?“

Spiegel: „Ja, dachte ich auch. Ich hab’s ja auch für meine Verhältnisse ziemlich oft ins Blatt geschafft. In den letzten Ausgaben war ich immer vertreten. Aber jetzt, also genau genommen seit der letzten Woche, ist es wieder so wie in all den Jahren vorher. Mein Thema ist durch. Ich sitze wieder herum und fühle mich völlig nutzlos.“

Dr. Jäger: „Woran haben Sie denn gearbeitet?“

Spiegel: „Moorhühner.“

Dr. Jäger: „Ach, sind Sie jetzt im Umwelt-Ressort?“

Spiegel: „Nein, Moorhühner, das ist doch dieses Computer-Spiel. Das hat die halbe Redaktion gespielt. Wochenlang saßen die doch alle am PC und haben nichts anderes gemacht. Immer nur dieses stumpfsinnige Moorhühner-Abknallen. Das Kultur-Ressort hatte den Highscore, 923 Punkte. Knapp vor dem Inland.“

Dr. Jäger: „Das ist ja alles äußerst interessant.“

Spiegel: „Genau das fand ich auch. Ich habe schließlich auch den Trend als erster erkannt und thematisch entsprechend gepusht. Das war ein richtiger In-House-Scoop. Die Kollegen waren ja alle infiziert. Und als ich dann mit dem ersten Moorhuhntext da war, da hatte ich sie natürlich alle gehookt. Da kamen sie nicht mehr dran vorbei. Das müssen Sie sich mal vorstellen, ich hatte in einem Monat vier Meldungen im Blatt und eine Randspalte. Insgesamt 1.234 Zeichen, so viel wie in drei Jahren zuvor nicht. Im Januar und Februar war ich in den Gedruckten-Charts hoch gerückt von null auf Platz 38. Verstehen Sie, auf einmal war ich wieder wer.“

Dr. Jäger: „Das verstehe ich sehr gut. Und jetzt ist die Situation natürlich umso schwerer für Sie. Wenn Sie so wollen, ein post-Moorhuhn-Trauma.“

Spiegel: „Mir ist schon klar, dass ich mich davon nicht so mitnehmen lassen darf. Aber was soll ich denn machen? Es ist, wie es ist. Ich komme einfach nicht dagegen an.“

Dr. Jäger: „Sie sollten sich eines immer wieder klar machen: Sie sind ein gestandener Journalist. Das haben Sie oft genug bewiesen. Und dass Ihre Instinkte wie früher funktionieren, belegt doch die jüngste Vergangenheit. Arbeiten Sie weiter. Sagen Sie sich immer wieder: Was ich mit den Moorhühnern geschafft habe, das kann ich jederzeit wiederholen. Glauben Sie an sich. Schlagen Sie ein neues Thema vor. Ziehen sie das richtig hoch. Und dann müssen Sie es mit der Headline auffeaturen. Was, meinen Sie, wird denn hausintern der nächste Trend?“

Spiegel: „Na ja, Sex geht immer gut, Babys und Tiere auch. Aber die Kollegen fiebern natürlich alle, dass ‚The Return of the Moorhuhn‘ endlich angeboten wird und sie sich das downloaden können.

Dr. Jäger: „Na, ich denke doch, dass Sie alte Spürnase da schon wieder die Witterung aufgenommen haben, was?“

Spiegel: „Herr Doktor, ich danke Ihnen für das Gespräch.“

FRITZ ECKENGA

Zitat:

Sie sind ein gestandener Journalist. Arbeiten Sie weiter. Glauben Sie an sich. Schlagen Sie ein neues Thema vor. Ziehen sie das richtig hoch. Und dann müssen Sie es mit der Headline auffeaturen.