Der Dialog dient auch als Modelllösung für andere Konflikte

Fünf Tage lang trafen sich 18 Menschen zum Gespräch über ihre Geschichte in Berlin. Das Treffen dient nicht nur zur Aufarbeitung ihr persönlichen Erfahrungen mit dem Holocaust. One by One versucht, das Dialog-Modell auf andere politische oder religiöse Konflikte zu übertragen. So betreut die Organisation auch eine Gruppe traumatisierter Armenierinnen

Achtzehn Menschen haben sich für fünf Tage in einer Villa auf Schwanenwerder einquartiert, um über ihre Erfahrungen mit dem Holocaust zu sprechen. Früher wohnte in der Villa auf einer Insel im Berliner Wannsee eine jüdische Familie. Heute gehört das herrschaftliche Haus der evangelischen Kirche.

Die 18 Teilnehmer sind nichtjüdische Amerikaner, jüdische Amerikaner, nichtjüdische Deutsche und jüdische Deutsche, Zeitzeugen und deren Töchter, Söhne oder Enkel.

„Es geht nicht um Vergebung“, erklärt Martina Emme, „es geht um die Abkehr vom Falschen und die Forderung: Erinnere dich an Verantwortung.“ Emme begleitet die Gruppe zusammen mit drei anderen psychologisch ausgebildeten Amerikanern und Deutschen. „Facilitators“ werden sie genannt.

1996 wurde One by One in den USA gegründet. 300 Mitglieder in Amerika und weitere 300 in Deutschland stehen durch die Organisation in Kontakt zueinander. Sie will Modell sein für die Begegnung von Gruppen, die sich wegen politischer, religiöser oder ethnischer Konflikte gegenüberstehen.

Einmal im Monat finden offene Gesprächsrunden statt. Einmal im Jahr kommt eine neue Dialoggruppe zusammen.

Die Aufarbeitung der Auswirkungen des Holocaust verläuft nach einem strengen Schema. Am ersten Tag hält jeder Teilnehmer zehn Minuten lang eine kurze Einführung über seine Person. In den folgenden Tagen hat jeder eine halbe bis dreiviertel Stunde Zeit, näher auf seine persönlichen Erfahrungen mit dem Holocaust einzugehen. Danach erzählt jeder Teilnehmer der Gruppe, wie diese persönliche Geschichte auf ihn gewirkt hat. Die Aufarbeitung wirkt therapeutisch, auch wenn dies nicht erklärtes Zeil der Organisation ist. Man weint und streitet und versöhnt sich.

Carola Domar ist die einzige Zeitzeugin dieser Gruppe. 1940 ist sie aus Deutschland geflohen. Als sie vor einigen Jahren zum ersten Mal nach Frankfurt zurückkehrte, fragte sie sich immer wieder: „Bin ich überhaupt erwünscht?“ Für sie steht heute fest: Ihr Trauma soll nicht an noch eine Generation weitergereicht werden. Dafür ging Carola Domar in ihre Schule, aus der sie zur Nazi-Zeit ausgeschlossen wurde, und berichtete dort den Schülern von ihren Erlebnissen. Dafür fuhr sie in diesem Jahr nach Deutschland zum Treffen der Dialoggruppe und erzählte auch hier und hörte zu.

„Die jüdischen Freunde akzeptieren den eigenen Schmerz“, sagt Inge Franken, Mitbegründerin von One by One. 1996 traf sich Franken erstmals mit ihrer Gruppe. Bis heute halten die Teilnehmer Kontakt, besuchen sich in Amerika oder in Deutschland und besuchen für gemeinsame Vorträge Schulen und Kirchengemeinden.

One by One möchte einen Weg des Dialogs aufzeigen, der auch für andere verfeindete Gruppen in Zukunft gangbar sein kann. So betreut Martina Emme auch eine Gruppe traumatisierter armenischer Frauen in Berlin. Am Samstag kamen auch sie zur Abschlussveranstaltung der Dialoggruppe. „Wir müssen den Hass los werden“, betont Martina Emme, „beide Seiten müssen sich befreien.“ FRANZISKA REICH