Der unbequeme Fremde

Fremdenfeindlichkeit kommt aus der Mitte der Gesellschaft, man trifft sie unter Lehren genauso wie unter Polizisten.Die berühmt-berüchtigten Jungmänner agieren sie nur aus. Ein Gespräch mit dem Erziehungswissenschaftler Klaus Ahlheim

Interview THOMAS MACHOCZEK

taz: Herr Ahlheim, wie reagieren Polizisten, wenn Sie ihnen in Ihren Fortbildungsseminaren klarzumachen versuchen, dass Fremdenfeindlichkeit auch latent in deren eigenen Reihen vorhanden ist?

Klaus Ahlheim: Das ist ganz schwierig – nicht nur bei Polizisten, sondern auch bei Lehrern. Eine Weiterbildungsveranstaltung mit diesem Thema kriegt immer eine ganz andere Dynamik.

Gelten Lehrer nicht tendenziell eher als aufgeschlossen und mitte-links-orientiert?

Vor zehn Jahren hätte ich das auch gesagt. Ich glaube mittlerweile, dass fremdenfeindliche Positionen ungehindert in allen Berufsgruppen geäußert werden. Das ist Alltag. Ich habe in Fortbildungen erlebt, dass es wie am Stammtisch zugeht. Fremdenfeindlichkeit kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Deswegen versuchen wir Materialien für die Fortbildung zu schaffen, die beides erlauben: Identifikation und Distanzierung. Allein die Tatsache, dass darüber geredet wird, ist wichtig.

Wird dieses Problem überhaupt wahrgenommen?

Nein. Sie finden in der Fortbildung kaum Angebote über Fremdenfeindlichkeit und Erziehung. Und sie merken auch in der Diskussion, dass es umso schwieriger wird, mit dem Thema umzugehen, je näher das an die Normalität derer kommt, die sich weiterbilden. Normalerweise wird Fremdenfeindlichkeit als ein Gewaltproblem junger Männer wahrgenommen. Es wird also auf einer Ebene verhandelt, wo es die Mehrheit der Bevölkerung nicht tangiert. Deshalb problematisieren wir in unserer Untersuchung das Umfeld, in dem sich die rechtsextremen Jugendlichen bewegen, wenn sie sagen: Wir machen nur das, was unsere Eltern denken und an Stammtischen aussprechen.

Das Umfeld, das sich ihrer Erkenntnis nach quer durch alle Schichten zieht, mag untypisch erscheinen. Aber die Handelnden bleiben doch die immer zitierten jugendlichen Männer.

Natürlich, das steht außer Frage. Die Männer sind die Handelnden. Wir haben da noch ein anderes klassisches Ergebnis, das sich mit früheren Studien deckt: Ein „akzeptierend-zuverlässiger Erziehungsstil“, in dem die Eltern den Kinder mit Respekt begegnen, hilft, dem Entstehen fremdenfeindlicher Vorurteile zu wehren. Und auch eine höhere Schulbildung.

Ist das nicht ohnehin erwartbar?

Pädagogisch wichtig ist dabei, dass es offenbar Formen von formaler Bildung gibt, die dem Menschen ermöglichen, sich mit der Realität auseinanderzusetzen. Sündenböcke braucht man in lebensgeschichtlich schwierigen Situationen und man braucht sie, wenn man mit dem, was man erlebt hat, intellektuell überfordert ist. Das ist eine bescheidene Erkenntnis, aber eine wichtige, weil es eine der wenigen Möglichkeiten ist, wo man pädagogisch längerfristig ansetzen kann. Politiker fordern immer, wenn sie von Übergriffen hören: Die Pädagogik muss her. Aber die ist ja keine Feuerwehr.

Trotzdem muss man doch auch kurzfristig reagieren.

Unsere Untersuchung zeigt auch, wo man kurzfristig ansetzen kann: Fremdenfeindliche Vorurteile können durch das öffentliche Klima aktiviert werden. Und die Art, wie Politiker mit Fremdenfeindlichkeit spielen, sie möglicherweise opportunistisch nutzen, ist hochgefährlich. In dem Zusammenhang könnte man noch mal über die Politik der letzten zehn Jahre nachdenken, darüber, was zum Beispiel im Zusammenhang mit der Asyldebatte passiert ist.

Oder beim CDU-Wahlkampf in Hessen, wo mit der Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft Politik gemacht wurde?

Ja, sicher. Das ist eine Katastrophe, was die gemacht haben. Unverantwortlich. Mit einem Vorurteil, von dem man weiß, dass es ein Großteil der Bevölkerung in der Mitte der Gesellschaft teilt, zu spielen und es so zu verkaufen, als würde man die demokratische Meinungsbildung vorantreiben. Das ist Gift für das öffentliche Klima. Je mehr das fremdenfeindliche Vorurteil öffentlich als halb plausibel gehandelt wird, desto mehr kann man sich auch ermutigt fühlen.

Lassen sich die Zusammenhänge belegen?

Man kann zum Beispiel nachweisen, dass die öffentliche Meinung nach den fremdenfeindlichen Krawallen in Rostock kippt. Die Belagerung des Asylantenheims in Hoyerswerda ist mit Erstaunen, aber noch undramatisch wahrgenommen worden, nach Rostock wurde auch in den konservativen Blättern die fremdenfeindliche Gewalt problematisiert – das hängt auch damit zusammen, dass im Ausland gesagt wurde, wir müssen unsere ökonomischen Beziehungen hinterfragen, wenn das in diesem Land so weitergeht. Und dann kann man sehen, dass es vier, sechs Wochen lang eine kritische, empörte Auseinandersetzung mit dieser Gewalt gibt. Repräsentative Untersuchungen stellten fest, dass in dieser Zeit fremdenfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung abnahmen. Und nach einem halben Jahr ging’s wieder hoch.

Haben sich die Formen der Fremdenfeindlichkeit gewandelt?

Es gibt so was wie eine moderne, scheinrationale Form von Fremdenfeindlichkeit in diesem Land, die auch durch die politische Öffentlichkeit mit propagiert wird und die gar nicht mehr der rassistischen Attribute bedarf. Eine ökonomistische Variante sozusagen. „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg.“ Oder: „Wenn die Arbeitsplätze weniger werden, soll man erst mal die Ausländer entlassen.“ Diese scheinrationale, ökonomistische Variante hat auch zu tun mit der Standortdebatte, mit Globalisierung und mit dem Standortprogramm, das Kohl mit seiner Regierung 1993 ausgerufen hat. Das ist in den Köpfen sitzen geblieben. Da werden die Freunde und Nachbarn als Konkurrenten beschrieben, gegen die man sich wehren muss. Und da wird ein Bildungsbegriff entwickelt, der nur noch berufsbezogen ist. Eigentlich heißt das, wir müssen Weltmeister werden, besser als die anderen, und so eine ökonomische Ideologie grenzt sich ja automatisch gegen andere ab. Sie grenzt die Verlierer intern aus und ist natürlich der Nährboden für fremdenfeindliche Einstellungen.

Wird nicht zunehmend deutlich, dass die Wirtschaft sich längst nicht mehr an Nationalstaaten orientiert?

Das ist das Spannende, dass im Zuge dessen, was man Globalisierung nennt, die nationalen Grenzen obsolet werden. Dass aber in diesem Zusammenhang, wo das Individuum mobiler werden muss, gerade als gegenläufige Konsequenz die Sehnsucht, der Hang zum Überschaubaren, nach dem Ort, der Gemeinde zunimmt. Und dass aus diesem Grund mit der Globalisierung eine fundamentalistische Rückbesinnung auf das Eigene und eine Ablehnung des Anderen stattfindet.