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: Schweinisches bei de Sade und im Alten Testament

WAHRE LIBERTINS

Der Herzog von Blangis und seine Freunde haben vier Frauen aufgetrieben, die ihr Leben „in unmäßigstem Laster“ verbracht haben und die ihnen nun die Tonspur zu ihren kleinen, abendlichen Exzessen liefern sollen: „Es galt sich zunächst mit allem zu umgeben, was die anderen Sinne durch ein Höchstmaß an Lüsternheit befriedigen konnte, und in dieser Lage alle verschiedenen Abirrungen des Lasters, alle seine Nebenwirkungen und all seine Grenzfälle, das, was man mit einem Wort der libertinen Sprache die Passionen nennt, in den kleinsten Details und in der rechten Reihenfolge erzählen zu lassen.“

Als Donatien Alphonse François de Sade den Entwurf zu seinem niemals vollendeten Roman „Die hundertzwanzig Tage von Sodom“ in der Bastille auf eine zwölf Meter lange und knapp zehn Zentimeter breite Papierrolle schrieb, ließ er den Herzog von Blangis das pornografische Hörbuch erfinden: „Es gilt unter wahren Libertins als allgemein anerkannt“, kommentiert er die Installation der vier Erzählerinnen am Rande der Orgie, „dass die vom Gehör vermittelten Empfindungen die Sinne am stärksten reizen und die lebhaftesten Eindrücke hervorrufen.“

Im Frankreich des späten 18. Jahrhunderts kamen solche Einfälle nicht überall gut an, die Schriften de Sades erschienen, wenn überhaupt, anonym. Auch als 1965 im deutschsprachigen Raum eine Schallplatte mit einem Auszug aus „Die hundertzwanzig Tage von Sodom“ erschien, wusste man bei der Plattenfirma, worauf man sich einließ. Man gab der Veröffentlichung eine sich gewissermaßen selbst beantwortende Frage zum Titel: „Soll man de Sade pressen?“ Die Schallplatte wird es schwer gehabt haben, damals, obwohl der inzwischen verstorbene österreichische Schauspieler Walter Kohut ganz bestimmt nur die harmlosesten Passagen aus der Einleitung des Werkes liest. Eigentlich schade, aber de Sade verkaufte sich in den 60er-Jahren wahrscheinlich auch nicht als prima Schweinkram, sondern, wie es im Begleittext zur Platte hieß, als „romanhaft gestaltete Vorwegnahme der Forschungsergebnisse seit der wissenschaftlichen Entdeckung des Sexus im Zeitalter von Sigmund Freud“.

Bis heute feiert man ja den Marquis de Sade in schlauen Essays gerne als den wahren Aufklärer. Die zuständigen Essayisten, nur mal so als Vermutung, freuen sich allerdings bestimmt auch immer wieder über den prima Schweinkram, der bei ihm zu lesen ist – oder erschrecken sich ganz doll über die prima Grausamkeiten, die bei de Sade nun mal dazugehören. Auf jeden Fall sind „Die hundertzwanzig Tage von Sodom“ – keine Angst, ein Zeitdokument! – jetzt auf CD wieder zu haben.

Da es als allgemein anerkannt gilt, dass die besten Schweinereien einen purpurnen Bischofsmantel tragen, und auch der scheußlich verruchte Bruder des Herzogs von Blangis bei de Sade wie selbstverständlich im Dienst der katholischen Kirche steht, glaubt man einem Titel wie diesem natürlich jedes Wort – und auch den Superlativ: „Die schweinischsten Stellen aus dem Alten Testament“. Die Texte werden von Harry Rowohlt gelesen, der dem deutschen Bildungsbürgertum bekanntlich als die vollendete Form der Verlotterung gilt, und auf dem Cover ist ein Ausschnitt aus Hiernomymus Boschs „Garten der Lüste“ zu sehen, auf dem einem jungen Mann eine Blume aus dem Po wächst. Anscheinend geht es im Alten Testament doch noch krasser ab, als wir wahren Libertins es uns vorstellen konnten.

Gut, auch mal enttäuscht zu werden. Die schweinischsten Stellen aus dem Alten Testament sind einfach nur ein paar sehr schöne Stellen, der Sündenfall zum Beispiel und natürlich das Hohelied Salomons, und wenn man es unbedingt schweinisch will, dann so: „Aber mein Freund steckte seine Hand durchs Riegelloch, und mein Innerstes erzitterte davor. Da stand ich auf, dass ich meinem Freund auftäte; meine Hände troffen von Myrrhe und meine Finger von fließender Myrrhe an dem Riegel am Schloss.“

Harry Rowohlt, das ist das Amüsanteste, bekommt auf jeden Fall die Gelegenheit, seine Rolle des bildungsbürgerlichen Pan um alttestamentalische Nuancen zu erweitern. Mit Vergnügen gibt er Jehova, den rächenden Gott: „Denn das Gebot ist eine Leuchte, und das Gesetz ein Licht, und die Strafe der Zucht ist ein Weg des Lebens ...“ Das war bei de Sade die „Subordination, aus welcher fast aller Zauber der Wollust in der Seele des Peinigers entspringt“. Jetzt gibt uns Harry Rowohlt die Peitsche. KOLJA MENSING

„Die schweinischsten Stellen aus dem Alten Testament“. Gelesen von Harry Rowohlt. Hörbuch Hamburg 2000. CD, 71 Min., 29,90 DM „Marquis de Sade“. Gelesen von Walter Kohut. Preiser/Hörsturz Booksound 1999. CD, 48 Min. 37,90 DM