Polarisation mit Methode

Seit sieben Jahren leitet Elisabeth Schweeger erfolgreich experimentierfreudig das Münchner Marstalltheater. 2001 wird sie Intendantin des Schauspiels Frankfurt – zum Schrecken aller Kulturbürokraten. Ein Porträt der umsichtigen Vernetzerin

von SABINE LEUCHT

Wir sind nicht die ersten. Aber wir tun es doch: Wir schreiben über ihre Frisur. Denn die Haartracht gehört zur Mode und Mode ist ... Hören wir, was sie selbst 1998 gegenüber der Zeitschrift Kunstforum zu Protokoll gab: „Es ist ein Unterschied, ob ich in einer zerrissenen Jeans herumlaufe oder mit einem Gucci-Höschen. Mode ist Alltagskultur und ästhetische Formulierung.“ In zerrissenen Jeans haben wir die Schweeger noch nie gesehen, meist trägt sie tadellos elegantes Schwarz. Der dunkle Schopf der gebürtigen Wienerin aber ist weit zwiespältiger in seiner Entschiedenheit: Erst scheint er stracks auf dem Weg zum Dutt, um sich dann springbrunnenartig in alle Richtungen zu verströmen. Formuliert sich da nicht die Verbundenheit mit der Tradition und zugleich die Lust, sie zum Tanzen zu bringen? Aus praktischen oder jedenfalls heutigen Erwägungen heraus?

Keiner, der die Leiterin des Marstalltheaters mehr als einmal durch die Münchner Kulturszene hat streifen sehen, kann ernsthaft behaupten, die Frau mit dem immer wilden Haar habe einen Hang zur Beliebigkeit. In Frankfurt tut man’s trotzdem. Dort, wo die experimentierfreudige Kunstermöglicherin ab September 2001 das städtische Schauspiel leiten soll, begann die Presse bei Bekanntwerden der überraschenden Botschaft Mitte Februar einhellig zu zetern: Wankelmütiges „Zeitgeisttheater“, „blinde Gegenwartsseligkeit“ und „sperriges Kopftheater“, jaulten die Oberkritiker von FAZ, Rundschau und Frankfurter Neue Presse und stellten sich fürsorglich vor das „jetzt schon zu bedauern(de)“ Publikum der Äbbelwoi-Metropole.

Schweeger nimmt’s gelassen. Sie hatte noch nie was dagegen, dass sich an ihr die Geister scheiden. Und ist von der „Wiener Schule“ ohnehin Schlimmeres gewohnt, wo sie „sieben gute Jahre“ lang erlebt habe, wie im Kulturbereich jeder für sich kämpft. Heute sagt sie nur lässig: „Schlechte Erfahrungen machen einen dick“, und wendet sich wieder ihrer Teetasse zu. Und der österreichische Akzent, der nun auch schon „sieben gute Jahre“ München hinter sich hat, färbt das fast gemütlich ein. Aber eben nur fast. Denn Elisabeth Schweegers Tonfall bleibt immer geschäftsmäßig. Und bis es zu einem echten Lächeln kommt, ist die Fragestunde fast zu Ende und die Vielbeschäftigte eilt schon zum nächsten Termin.

Die heute 46-jährige Mutter eines Sohnes hat Buchhändlerin gelernt und ihren Dr. phil. gemacht. Sie hat an Wiener Kunsthochschulen gelehrt, war Dramaturgin in Bremen, Zürich und München, Herausgeberin einer Architekturzeitschrift sowie immer wieder Kuratorin, Organisatorin und Vermittlerin aller Kunstformen zwischen Architektur, bildender Kunst, Musik, Theater, Film und Neuen Medien. Vor drei Jahren war sie zudem kurzzeitig als neue Münchner Kulturreferentin im Gespräch. Dem postmodernen Menschenbild musste sie, die den Marstall seit 1993 erfolgreich zwischen Theorie und Praxis manövriert, nie trendsüchtig nachlaufen, sie lebte es einfach.

Als sich im vergangenen Jahr das deutsche Intendantenkarussell noch einmal heftig zwischen München, Berlin, Hamburg, Mannheim und Frankfurt drehte, wurde Elisabeth Schweeger, die seit dieser Spielzeit auch Chefdramaturgin am Bayrischen Staatsschauspiel ist, kurzfristig aus der Bahn geworfen. Und nach dem Motto „Wer nicht immer schon Intendant war soll auch nie einer werden dürfen“, dem die Kulturbürokraten ihre stets unspektakulären Entscheidungen verdanken, wirft man der attraktiven Mittvierzigerin heute vor, sie habe eben nicht schon immer ... und sei daher auch total ungeeignet für den neuen Job in Frankfurt. „Was ich geleistet habe, kann jeder nachlesen“, sagt Schweeger dazu nur knapp, und es ist nicht allein die chronische Uninformiertheit der Presse, für die ihr das Verständnis fehlt. Dass die Stimmen gegen ihre Berufung an die Mainmetropole so lustvoll auf ihrer vermeintlichen Blauäugigkeit herumrutschten, hat nach ihrer Ansicht schlicht den Grund, „dass ich eine Frau bin“.

Und richtig: Michael Schindhelm – „von Haus aus Kernphysiker“ – durfte es in Basel in aller Ruhe zu einem der erfolgreichsten Intendanten des deutschsprachigen Raums bringen. Und: „Wer ist Jens Daniel Herzog?“, fragt Schweeger in Richtung des zuvor von Frankfurt angefragten Mannheimer Schauspieldirektors, der lediglich damit prunken kann, bei Dieter Dorn das klassische Regiehandwerk gelernt zu haben. Dorn, Chef der Münchner Kammerspiele, den der Frankfurter Kulturdezernent Nordhoff am allerliebsten eingekauft hätte, übernimmt ab September 2001 das Bayerische Staatsschauspiel. Schweegers „Marstall-Kind“, dem sie seit 1993 alles weitergab, was sie an internationalen Kontakten und Impulsen gesammelt hatte, wird es dann nicht mehr geben.

In dieser „kreativ entzündlichen Wärmestube“ (Der Standard) unter dem Dach des Staatsschauspiels durften sich Genres und Stile lustig mischen; da gab es ernste Symposien über Cyberspace oder über „die österreichische Seele“. Aber: „Kunst bringt nur Zwischenergebnisse. Das ist keine Zahnpasta, die ich da produziere.“ Rückblickend auf die Arbeit der letzten Jahre hat Schweeger eine lockere Haltung zum Thema Scheitern parat. Auch wenn oft Techno aus dem neoklassizistischen Klenze-Bau wummert – eines war der Marstall immer auch: ein Raum, der mit der „Langmut, die wir nicht mehr haben“, die Dinge einfach wachsen lässt. So konnte beispielsweise im Februar F. M. Einheit, Ex-Drummer der Einstürzenden Neubauten, der bereits 1998 eine „Schlachtplatte“ zwischen „Helden-Classical, Musiktheater und Sound-Oper“ im Marstall inszeniert hat, den hohen Backsteinraum zum öffentlichen Ton- und Videostudio umfunktionieren. Einen ganzen Monat lang. Und es war unspektakulär toll.

Andere Veranstaltungen wirkten dagegen eher wie Sympathiebekundungen für das sture Beharren auf der eigenen Handschrift: Der Münchner Künstler Flatz sorgte mit der Häutung eines Pferdes für einen Skandal, und das österreichische Videozerlegungsduo Granular Synthesis feierte das Verschwinden des Schauspielers im Rauschen der Bits und Töne. Wie die Hexenküche Marstall moderne Musik mit Kulinarisch-Exzentrischem von Peter Greenaway, Herbert Achternbusch oder Christoph Schlingensief zusammenbraute, bis es mitunter knallte – dafür musste man sie einfach lieben. Und dafür wird eine Frau wie die Schweeger auch immer „streitbar“ genannt werden. Vom bayerischen Staat wurde sie dafür bezahlt, und 1999 verlieh ihr die Stadt München für ihr produktives Anstinken gegen den Mainstream den Theaterpreis. Halten aber konnte man sie nicht. Als der Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels, Eberhard Witt, im Dezember seine vorzeitige Vertragsauflösung bekannt gab, knurrte Schweeger nur: „Natürlich gehe ich auch.“

„Lust aufs Fremde“ – lautet das Motto der letzten Witt-Schweeger-Spielzeit im Residenztheater. Welche Erfahrungen hätte sie gern noch gemacht, bevor für sie selbst das Fremde beginnt? „Das ist vorbei“, sagt Schweeger und will, wo ihr Vertrag mit Frankfurt „kaum trocken“ ist, auch künftige Wunschpartner nur vertraulich nennen. Was sie sonst so vorhat, klingt sehr nach ihrem Rezept für das Residenztheater und ein wenig wie Trockenschwimmen. Was es wohl auch ist: Zuerst müsse sie „die Stadt erfassen“, in ihrer besonderen Mischung aus Finanzen, Ausländern und Wissenschaft. Dann wolle sie kulturelle Institutionen miteinander vernetzen und lokale Probleme aufgreifen. Da hört man die kühle Wissenschaftlerin und legendäre Organisatorin heraus, die nur dann annäherungsweise die Ruhe verliert, wenn ihr die Zigaretten ausgehen. Oder wenn man ihr das Wörtchen „Bildungsauftrag“ vor die Füße wirft und nicht dazu sagt, dass man den nicht stracks erfüllt haben möchte. In einer komplexer gewordenen Welt, in der die Medien eine immer größere Rolle spielen – sagt die Schweeger dann –, sei vor allem die Entwicklung einer neuen Wahrnehmung wichtig und ein neues „Nachdenken über sich selbst“.

Sicher ist: Auch in Frankfurt, wo man unter Peter Eschberg so ruhig schlafen konnte, wird sich die Bühne künftig aus dem Leben speisen. Und weil das Leben so viele widersprüchliche Dinge erzählt, wird die Frau mit der gezähmten Sturmfrisur vermutlich mächtig aufblühen.