Werben in Delhi, Lektion in Rawalpindi

Bei der ersten Südasienreise eines US-Präsidenten seit 22 Jahren umwirbt Bill Clinton vier Tage lang das einst distanzierte Indien, während er den früheren Verbündeten Pakistan wegen dessen Militärregierung in nur vier Stunden abfertigen will

aus Delhi BERNARD IMHASLY

US-Präsident Bill Clinton begann am Sonntag einen sechstägigen Besuch von Bangladesch, Indien und Pakistan. Er kam am Abend in Delhi an, begleitet von einem Gefolge aus mehreren hundert Beamten, Geschäftsleuten und Journalisten. Die Ankunft verlief ohne großes Protokoll, verbrachte Clinton in der indischen Hauptstadt doch nur eine Nacht. Während Tochter Chelsea und Schwiegermutter Dorothy Rodham sich gestern in Rajasthan beim Frühlingsfest Holi vom Flug aus Washington erholten, flog der Clinton bereits früh nach Dhaka weiter. Er ist der erste US-Präsident, der dem vor 29 Jahren aus der Loslösung von Pakistan entstandenen Bangladesch einen offiziellen Besuch abstattet. Entsprechend voll war das Füllhorn, das Clinton über seinen Gastgebern ausschüttete: Insgesamt 143 Millionen Dollar brachte er an Hilfszusagen mit, mit denen die USA dem armen Land unter die Arme greifen wollen.

Der eigentliche Besuch in Indien – und der anschließende Kurzbesuch Pakistans – beginnt am heutigen Morgen, wenn Clinton vor dem Präsidentenpalast in Delhi eine Ehrengarde abschreitet. Den vier Tagen in Indien mit seinen Stationen Delhi, Agra, Jaipur, Hyderabad und Bombay stehen vier Stunden auf der Luftwaffenbasis von Rawalpindi in Pakistan gegenüber. Und während Clinton mit einem breiten Querschnitt der indischen Gesellschaft ins Gespräch kommen wird – Software-Ingenieure, Geschäftsleute, Dorffrauen, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen –, beschränkt sich der Kontakt mit dem pakistanischen Volk auf eine Fernsehansprache, und eine längere Unterredung mit dem „Obersten Geschäftsführer“ des Landes, General Pervez Musharraf.

Das einseitige Besuchsprogramm zugunsten Indiens ist mehr als ein Misstrauensvotum gegenüber General Musharraf, der vor fünf Monaten die Zivilregierung absetzte und Premier Nawaz Sharif wegen Hochverrats vor Gericht stellte. Pakistan ist ein traditioneller Verbündeter der USA, während Indien als alter Freund der verblichenen Sowjetunion über Jahrzehnte auf Distanz gehalten wurde – und selbst Distanz zu Washington hielt. Clinton, so betonte vor einigen Tagen ein hoher Funktionär des indischen Außenministeriums, ist nicht nur der erste Präsident seit Jimmy Carters Visite vor 22 Jahren. Er ist auch der erste US-Präsident seit der Auflösung der Sowjetunion, der Moskaus ehemaligem Alliierten die Ehre gibt – und den eigenen Freund Pakistan unmissverständlich in den zweiten Rang verweist.

Der Entschluss zum Besuch Pakistans war im Weißen Haus erst in letzter Minute gefasst worden, nachdem zahlreiche Kongressabgeordnete und Akademiker davon abgeraten hatten, mit dem Händedruck in Rawalpindi dem Militärregime Legitimität zu verleihen. Schließlich setzte sich jedoch die Meinung durch, die sich von einem „Engagement“ des schwierigen Staats mehr Einfluss verspricht als von dessen Isolierung. Pakistan besitzt gute Kontakte zu den Taliban, und die Auslieferung des Taliban-Gasts Bin Laden hat für Washington weiter Priorität.

Die Niederlage Pakistans im Konflikt mit Indien in den Kargil-Höhen von Kaschmir im letzten Jahr hat zudem nicht eine Zügelung des grenzüberschreitenden „Heiligen Kriegs“ bewirkt – im Gegenteil: Der Kleinkrieg in Kaschmir hat mit der neuen Waffe von Selbstmordattentaten zu einer Eskalation geführt, mit dem Risiko eines offenen Kriegs zwischen zwei Staaten, die inzwischen Atomwaffen besitzen. Die USA – und dies sieht inzwischen auch die Regierung in Delhi ein – sind das einzige Land, das auf das Militärregime in Islamabad effektiven Druck ausüben kann.

Auch in Indien werden die Blumenmädchen und der Fototermin vor dem Tadsch Mahal nicht davon ablenken, dass Clinton wie in Pakistan seine Abrüstungsforderungen – Beitritt zum Atomtestverbot, zum Abkommen über die Produktion von spaltbarem Material, zum Vertrag über nukleare Nichtweiterverbreitung – auf den Tisch legen wird. Allerdings weiß man in beiden Hauptstädten, dass sich Clinton in seinem letzten Amtsjahr befindet und dass er seinem eigenen Parlament keine Ratifikation des Teststopp-Vertrags abgerungen hatte. Und selbst als Friedensstifter für Kaschmir ist er nicht willkommen: Indiens Regierung verbittet sich nach wie vor jede äußere Einmischung, weil sie der Meinung ist, dass es so etwas wie einen ehrlichen und selbstlosen Makler nicht gibt – vor allem nicht, wenn er in Washington zu Hause ist.

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