Think big!

■ Dem ewigen kulturpolitischen Wo-gehts-mit-weniger kontert das kommunale Kino 46 mit einem Wo-wollen/brauchen-wir-mehr – und fordert ein riesiges neues Filmzentrum mit Museum im Zentrum der Stadt

Was lässt sich gegen die zweifelhafte Bremer Kulturpolitik ausrichten. Streiken, meinten viele. Beim Wort nehmen, sagten sich Alfred Tews und Karl-Heinz Schmid; und ließen sich durch das schöne inflationär gefloskelte Wort „Kulturentwicklungsplan“ inspirieren zu einem ebensolchen. Der umfasst zwar nur zwei Seiten, „aber auch Einstein hat seine Relativitätstheorie auf kärglichen 17 Seiten niedergeschrieben“, scherzt Tews. Explosiv wie Einstein ist das seit einem halben Jahr angedachte Konzept jedenfalls. Vielleicht auch kernspaltend, nämlich für die Bremer Kulturszene. Denn in Zeiten, wo sich überall der Sensenmann lüstern umguckt, gilt für die beiden Köpfe des Kino 46 bedingungslos: Think big!, vielleicht auch ein bisschen, um die Bremer Kunstlandschaft insgesamt aus der unwirtlichen Rolle des ewig demütigen Spareiferers herauszukatapultieren. Es geht wohl nicht um Vergrößerung als Selbstzweck, sondern um eine Reaktion auf neue Entwicklungen innerhalb der „wichtigsten Kunstform des 20. Jahrhunderts“ (so das Konzeptpapier wenig bescheiden).

Seit CinemaxX und CineStar in Bremen Einzug hielten, leiden die kleinen Kinos an Schwindsucht – und das Kino 46 legte um 10 Prozent zu. Grund für diese Kuriosität ist vielleicht, dass die anderen Kinos ihren Anspruch dezent herunterschrauben mussten (Ausnahme Cinema). Damit Film überleben kann, und zwar als Kunst, würde also ein zweiter Kinoraum nicht schaden; zumal dem Kino 46 massenhaft faszinierende, kleine Filme angeboten werden, die man aber – leider, leider – aus Terminmangel nicht zeigen kann. Was man am liebsten hätte: ein 250-Plätze-Kino, möglichst zentral gelegen, „in der Tradition der großen Kinoarchitektur des letzten Jahrhunderts“. „Am liebsten in Muschelform“, ulkt Tews. Hier sollen auch vermehrt Filmseminare stattfinden, aber vielleicht kommen auch irgendwelche Wirtschaftsfachtagungen, um das Equipment (Videobeamer...) zu nutzen – man ist ja nicht so. Nicht unbedingt logisch in Zeiten, wo bald jeder zweite Manager seinen eigenen Viodeobeamer im Aktenkofferformat mit sich rumträgt. Da das Kino 46 Kooperationsweltmeister dieser Stadt ist und von deutsch-japanischer Gesellschaft über Institut Français bis zur Uni mit jeder Institution Projekte erarbeitet, haben sie keine Sorge vor Leerstand.

Dass immer mehr Kopien etwa aus lagertechnischen Gründen aus dem Verkehr gezogen werden, ist eine zweite bedenkliche Entwicklung. Von Fellini etwa sind gerade mal fünf Filme im Verleih erhältlich, noch düsterer sieht es bei Buñuel aus. Deshalb legen kommunale Kinos vermehrt eigene Archive an und treten miteinander in kostengünstigen Tauschhandel. Statt Leihgebühr sind dann „nur“ noch 200-400 Mark pro Aufführung für den Besitzer der Filmrechte fällig. Etwa 120 Kopien – zum Teil für 4.000 Mark neu gezogen, zum Teil billige Ausmusterungsexemplare von Verleihen – sind bereits im Kino-Besitz. Der Wunsch des Kino 46: Bremen sollte sich vermehrt an dieser Form der Bewahrung von Filmkunst beteiligen.

Am meisten am Herzen liegen Tews und Schmid aber ein Filmmuseum, wie es das in Frankfurt, Düsseldorf, Potsdam und Berlin gibt. Angedachte Dimensionen: etwa in der Schuhgröße Wagenfeldhaus oder Marcks-Museum. Da Originalkameras und -projektoren aus über 100 Jahren Kino nur noch begrenzt abgreifbar sind, müsste die Vermittlung über Multimedia, Touchscreens und Ähnlichem funktionieren. Geschichte als Erlebnispark? Im Londoner „Museum of the moving image“ stößt ein solches reel-virtuelles Mischkonzept auf tolle Akzeptanz vor allem bei den Kids, schwärmt Schmid. Weil der Film in diesem Jahrhundert wenn schon nicht die hochwertigste, doch sicher die einflussreichste Kunst ist, wird es in ein paar Jahrzehnten in jeder größeren Stadt ein ebensolches Museum geben, lautet Schmids wagemutige Prophezeiung. „Und es wäre doch schön, wenn Bremen mal mit vorne dabei ist statt hinterherzuzockeln.“

Natürlich werden jetzt viele maulen: Die sind irre! Aber derlei Reaktionen schrecken Tews und Schmid wenig. Nichts als déjà vu. 1987 nämlich forderte das kommunale Kino eine eigene Spielstätte mit anhängigem Institut für praktische Medienarbeit. „Damals schrien alle: Ihr spinnt doch. 1993 gab es dann Richtfest.“ Auch für das neue Projekt drohen Tews und Schmid bereits, sich ihrer berüchtigten Methode des langen Atems zu bedienen. Schließlich loben heute alle, von Scherf bis Schulte, „was ihr dort draußen in Walle so bewegt habt“. Jetzt wollen sie rein ins Herz der Stadt. bk