Babelsberger Bankbrüller

Bernd Schröder herrscht wie ein Autokrat über die Fußballerinnen von Bundesligist Turbine Potsdam. Ohne ihn würde alles zusammenbrechen, mit ihm ist die Zukunft aber auch vage

aus PotsdamMARKUS VÖLKER

Bernd Schröder brüllt. Er gestikuliert aufgebracht. Er schreit und lamentiert. Er tanzt wie ein Derwisch zur Außenlinie, packt sich Ariane Hingst, DFB-Nationalspielerin, blafft sie an und stößt sie zurück aufs Feld: eine Szene aus dem Heimspiel am vergangenen Sonntag gegen den WSV Wolfsburg vor der Rekordkulisse von 510 Zuschauern. Das Spiel endet mit 2:1, und Turbine Potsdam liegt nach dem siebten Sieg im achten Spiel im Potsdam-Babelsberger Liebknecht-Stadion auf Rang zwei der Bundesligatabelle.

„Mensch, jetzt ist aber mal gut“, ruft ein Zuschauer nach der Attacke Schröders. „Was soll denn das nur bringen“, fragt sich ein anderer. Schröder, Trainer, Manager, Vereinsgründer von Turbine Potsdam, schlichtweg der Verein selbst, entgegnet hernach dem Unmut der Zuschauer: „Man muss in eine Mannschaft Dissonanzen reinbringen, Unruhe, sie anstacheln, sonst wird nichts daraus.“

Mit Disharmonien im Team hat Schröder keine Probleme – wenn sie von ihm ausgehen. Der 57-jährige Vorruheständler, früher Abteilungsleiter der Potsdamer Energieversorgung, macht deutlich, wie er sich die Arbeit eines Übungsleiters vorstellt. Zu DDR-Zeiten sei das so gewesen: „Wenn ich meinen Spielern gesagt habe, springt vom Zehnmeterturm, und es war nur ein nasser Waschlappen im Becken, dann haben die das gemacht.“

Autoritätsbezogenes Traning kommt immer an

Schröder hat sich nach der Wende nicht viel verändert. Vielleicht würde er nun ein paar Textilien mehr zur Dämpfung auslegen. Er versichert: „Man kann sagen, was man will, autoritätsbezogenes Training kommt immer an.“

Der Erfolg scheint ihm Recht zu geben. In den 80er-Jahren wurden die Potsdamerinnen sechsmal Meister. Trotz ökonomischer Engpässe führte er Turbine 1994 in die erste Bundesliga. Auf Rang vier schloss der Klub die vergangene Spielzeit ab. Dritter wollen die Kickerinnen in dieser Saison werden. Bleibt es beim derzeitigen Lauf, wird ihnen das leicht fallen.

Schröders Stil ist gewöhnungsbedürftig. Im Umfeld von Turbine Potsdam geht das Wort vom Despoten um. Auch er selbst bezichtigt sich der „Absolutherrschaft“. Er hat kein Problem damit. „Ein Frauentrainer muss wesentlich unangreifbarer sein, weil, das weibliche Geschöpf sieht jede Schwäche“, referiert er. „Ich habe mich deswegen selbst auf ein Podium gestellt, wo ich fast unangreifbar bin.“ Eine „mystische, nebulöse“ Aura habe er um sich geschaffen. So eine Position erleichtert Entscheidungen. Aber es schafft auch Probleme: zum Beispiel das der Nachfolge. „Mein Schatten ist so groß, da wächst nichts Kreatives nach. Sollte mir etwas passieren, bricht der Laden zusammen.“

Doch Schröder versucht zumindest strukturell in die Zukunft zu bauen. An der Sportschule am Potsdamer Luftschiffhafen gibt es seit zwei Jahren ein Nachwuchsprogramm für Mädchenfußballerinnen. Das ist einmalig in der Bundesrepublik. In gemischten Klassen, gemeinsam mit Ruderern, Kanuten oder Leichtathleten, vertiefen pro Jahrgang zehn Spielerinnen ihr Können. Schröder: „Die Mischung ist wichtig, da sehen die Mädchen, wie gearbeitet wird, denn Fußballer sind eigentlich faul.“ Mit 14 Jahren werden die Mädchen ins Sportgymnasium eingeschult. Kickende Jungs gibt es in Potsdam nicht, die werden im Land Brandenburg in Frankfurt und Cottbus ausgebildet.

Ist Schröder einmal ins Reden gekommen, setzt er Sätze wie Marksteine. „Für uns ist jedes Spiel Klassenkampf“, ist so einer. „Wir haben immer Probleme mit denen“, ein anderer. Oder er sagt: „Die da drüben mauscheln doch.“ Richtig „vergnatzt“ sei er deswegen. Und auf den DFB lässt er kaum ein gutes Wort kommen.

Den angeblichen Unbilden zum Trotz hat Schröder ein starkes Team geformt. Mit einem Altersdurchschnitt von 20,7 ist es das jüngste in der Liga. Nachwuchs-Ausbildung und harte Arbeit auf dem Platz, das sei sein Verständnis von Fußball, sagt Schröder. Zwei 16-jährige Nationalspielerinnen stehen im Kader. In jeder Nationalauswahl spielt mindestens eine Potsdamerin, obwohl der Saisonetat mit 400.000 Mark im unteren Bereich der Liga liegt. Aushängeschild des Teams ist Ariane Hingst, 20 Jahre alt.

Hingst sitzt nach dem Sieg gegen die Wolfsburgerinnen auf dem Rasen, reißt sich den Tapeverband vom leicht lädierten Knöchel. Im Hintergrund wütet Schröder noch ein wenig. Er ist mal wieder nicht zufrieden. Ihr Verhältnis zum Trainer? „Eine Liebesbeziehung.“ Sie lacht. Nein, nein, sie wisse einfach, wann sie die Ohren auf „Durchgang“ zu schalten habe. Er raste immer mal aus, aber das hieße ja nicht, er hasse sie persönlich. Und wie reagieren die jungen Spielerinnen? „Die sind oft mit den Nerven am Ende.“ Der rüde Stil des Trainers scheint aber auch sein Gutes zu haben. „Wenn man so einen Trainer am Anfang hat, kommt man später mit allen klar.“