Ein nagelneues AKW wartet

Milliardenprozess um Mülheim-Kärlich geht in die entscheidende Runde. Land zahlt hohe Rechtsgebühren, RWE kassiert in jedem Fall noch bis 2004

KOBLENZ taz ■ Das wäre ein großer Spaß für den Stomkonzern RWE-Energie AG in Essen: Wenn sein vor zwölf Jahren stillgelegtes AKW Mülheim-Kärlich, das nur ein halbes Jahr am Netz war, doch noch in Betrieb genommen werden könnte. Oder wenn – kaum weniger spaßig – das Land Rheinland-Pfalz zur Zahlung von Schadenersatz in Milliardenhöhe verurteilt würde.

Die teure Materie ist kompliziert: RWE jedenfalls reichte nach der vom Bundesgerichtshof (BGH) verworfenen 1. Teilgenehmigung (TG alt) eine auch für „rechtswidrig“ erklärte 1. TG (neu) zur Genehmigung ein und 1998 eine dritte mit dem Titel TG 1 (neu 2). Unverändert bleibt der Standort des Meilers am Rand der vulkanischen Eifel, auf erdbebengefährdetem Gebiet.

RWE beruft sich auf eine von der damaligen Landesregierung unter Helmut Kohl erteilte Genehmigung. Am 28. März geht der Schadenersatzprozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz in die dritte Runde. Streitwert: 1,5 Milliarden Mark. 17 Millionen Mark an Steuergeldern hat das aktuell von SPD und FDP regierte Land aufgrund dilettantisch konzipierter Honorarverträge in den beiden vorherigen Instanzen schon an zwei Advokaten ausschütten müssen. Auch eine „Frechheit“, so gestern Ise Thomas, die Fraktionsvorsitzende der Grünen. Die Honorare hätten nie an den Streitwert gekoppelt werden dürfen.

RWE lässt also nicht locker. Ein neues AKW im Aussteigerland soll her. Laufzeit: 30 Jahre. Immerhin kann sich RWE in der Antragsbegründung für die 1. TG (neu 2) auf insgesamt acht rechtskräftige Genehmigungen einzelner Bauabschnitte in den Jahren bis zur Stilllegung berufen. Doch die seien, so der Kläger Joachim Scheer, durch die Ablehnung der 1. TG (alt) obsolet geworden. Die für rechtmäßig erklärten Einzelanträge hätten sich nämlich alle auf die 1. TG (alt) bezogen. Eine Rechtsauffassung, die heute auch Umweltministerin Claudia Martini (SPD) vertritt. Das AKW in der Erdbebenregion sei ohnehin „technisch und konzeptionell hoffungslos veraltet“, heißt es in einem Gutachten des Öko-Instituts.

Doch auch mit dem stillgelegten AKW hat REW ordentlich Geld verdient. Die das AKW betreibende hundertprozentige Tochter von RWE, die luxemburgerische Société de Centrales Nucléaires (SCN), erwirtschaftet Strompreisumlagen. Die spülten RWE in 16 Jahren insgesamt bisher 4,8 Milliarden Mark in die Kassen, ohne dass der Reaktor auch nur eine Kilowattstunde Strom lieferte; die entsprechenden Verträge mit dem Land Nordrhein-Westfalen laufen noch bis 2004. Der fiktive Strom, der in Mülheim-Kärlich hätte „hergestellt“ werden können, soll jetzt – nach dem Willen von RWE – in den Konsensverhandlungen mit der Bundesregierung die Laufzeiten der anderen AKW erhöhen.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT