Warten auf den Fehler

Die Presse lauert: Aber bei ihrem ersten Auftritt seit der Nominierung zur CDU-Chefin leidet Angela Merkel nur unter einem offenen Fenster und dem Macho-Charme ihres Rivalen Rühe

Von PATRIK SCHWARZ

Diesmal führt sie die Kolonne an. Als Angela Merkel am Tag zuvor mit Wolfgang Schäuble zur Pressekonferenz erschien, folgte sie im Gänsemarsch dem langen Bogen, den sein Rollstuhl bis zum Podium brauchte. Doch heute ist der Tag danach, der erste Tag, an dem Angela Merkel als designierte Bundesvorsitzende der CDU in der Parteizentrale Einzug hält. Eine Routineveranstaltung steht an, ein Pressegespräch zu Beschlüssen des „Bundesfachausschusses Außen- und Sicherheitspolitik“. Bemerkenswert ist allenfalls die Selbstverständlichkeit, mit der sie an der Spitze der Kolonne von drei Männern und einer Frau zu den Mikrofonen schreitet.

Als „Generalsekretärin Angela Merkel“ wird sie den Journalisten vorgestellt, und auch sie selbst tut fürs Erste so, als habe sich seit gestern nicht das Geringste geändert. Sie gibt zum Positionspapier „Zukunft der Bundeswehr“ ein Statement von ausgesuchter Unauffälligkeit ab und ignoriert ansonsten nach Kräften, dass die in absurd großer Zahl erschienenen Kameraleute womöglich an etwas anderem interessiert sein könnten als den Ergebnis- sen eines Fachausschusses der CDU.

Zunächst scheint sie in diesem Unterfangen Erfolg zu haben und somit ihren Ruf als Hoffnungsträgerin zu rechtfertigen. Nur hat leider jemand in der Berliner Parteizentrale vergessen, die Dachluke zu schließen. Nachdem diese sich unmittelbar über dem Haupt der Hoffnungsträgerin befindet und das Wetter in der Hauptstadt nieselig ist, blickt Angela Merkel irgendwann zur Decke. Was für ein Bild! Den Kopf halb nach hinten gekippt, die Augen gen Himmel gerichtet – gibt es ein schöneres Sinnbild für die Suche nach einer neuen CDU? Ein gutes Dutzend Kameraverschlüsse klicken. Einen Moment lang schaut Angela Merkel verdutzt. Als begreife sie plötzlich, dass die Welt nicht mehr dieselbe ist. Dass die zwölf Kamerateams wegen ihr hier sind und dass es nie wieder weniger, höchstens mehr werden. Und plötzlich grinst sie. Wie ein Kind, das überlegt, vielleicht mit den Ohren zu wackeln, damit der Fotograf noch mal knipst.

Doch weil sie weiß, dass die Reporter nicht auf wackelnde Ohren warten, sondern auf ihre ersten Fehler in der neuen Rolle, legt sie vorsichtshalber los. „Verteidigungspolitik ist im umfassenden Sinn deutsche Interessenpolitik“, sagt sie, und es klingt fast so markig wie bei Volker Rühe, als dieser noch Verteidigungsminister war und nicht einer ihrer Konkurrenten in der Topetage der CDU. Rühe, der Außen- und Sicherheitspolitiker, fehlt übrigens bei diesem Pressegespräch zur Außen- und Sicherheitspolitik. Damit nun niemand auf die Idee kommt, Angela Merkel könnte dem einstigen Rivalen um den Parteivorsitz das Rampenlicht nicht gönnen, weist sie extra darauf hin, dass aus seiner Abwesenheit „keinerlei Schlussfolgerungen zu ziehen sind“. Das klingt ungefähr ähnlich herzlich wie ein Satz, den sie am Vortag zu Volker Rühe verloren hat. Dieser möchte gerne Parteivize werden, und also geht die Frage an Angela Merkel, was sie davon hält: „Eine Deutlichmachung, dass er sich einbringen will.“ Mehr Wärme ist nicht.