Erschöpfter Geschmacksnerv

■ Gestern bekamen Bremens Bäcker Besuch vom „Brotprüfer“: Wie steht's um Säuregrad, Brötchen-Weiche und Oberflächenstruktur? Die taz weiß mehr

„Mit Essen spielt man nicht“ ist eine der ersten Lektionen, die Kinder zuhause lernen. Im Übersee-Museum werden dagegen langjährige Erziehungsanstrengungen zunichte gemacht. Schulkinder stehen mit offenen Mündern im Foyer – nicht, weil sie gern von den Brötchen probieren würden, die Michael Isensee vor ihren Augen malträtiert, sondern weil er alles darf, was sie nicht dürfen.

Brötchen für Brötchen dreht der Mann im weißen Kittel zunächst kritisch mehrmals um, dann drückt er zu, bis es knackt. Er schneidet das Frühstücksgebäck mit einem gigantischen Sägemesser auf und drückt mit dem Daumen ins weiche Innere. Wenn es schnell wieder hoch kommt, macht sich auf Isensees Gesicht ein zufriedenes Lächeln breit. Dann kommt der Schnuppertest: Die Nase wird ins Brötcheninnere gedrückt und tief durchgeatmet. Das Nasenfett-angereicherte Brötcheninnere rupft Isensee mit einem Griff heraus und kostet ein wenig davon. Dann vielleicht noch ein kurzer Biss in den Rand, der Rest wandert achtlos in die Tonne. Die nächste Brötchentüte ist dran.

Michael Isensee ist Brotprüfer. Der Bäckermeister hat sich dazu in Fortbildungen qualifiziert. Sein Brötchengeber ist der Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks. Für den reist er durch den ganzen Norden, von Flensburg bis Hannoversch-Münden, von Ostfriesland bis zur polnischen Grenze, und prüft Tag für Tag Brot und Brötchen.

Vor seinem jährlichen Besuch in Bremen braucht allerdings kein Bäcker zu zittern: Mit der amtlichen, unangemeldeten Kontrolle von Hygiene, Gewicht und Inhaltsstoffen hat die „Brot- und Brötchenprüfung“ nichts zu tun. Die Verbandsprüfung ist freiwillig – quasi die Freiwillige Selbstkontrolle des Bäckerhandwerks. Nur ein gutes Drittel der 63 Bremer Innungsbetriebe nimmt daran teil. Dabei hätten sie auch bei schlechtem Abschneiden keine Nachteile zu befürchten: Nur die drei Sieger werden veröffentlicht.

Wer auf den hinteren Rängen landet, wird von der Innung diskret verschwiegen. Außerdem haben sie Gelegenheit, sich zu verbessern: Isensee bietet Beratung für jene Betriebe an, deren Backwerk er nur das Prädikat „verbesserungswürdig“ verleihen konnte.

Nach einem ausgeklügelten Sys- tem wird eine Vielzahl von Kriterien bewertet, die selbst passionierten Brötchenessern fremd sind. Etwa die „Rösche“: Ein leichtes Auseinanderreißen des Brötcheninnern ist besser als eine zähe Struktur. Oder das „Fenstern“: Wenn die Brötchenoberfläche feine wabenartige Risse aufweist, ist Isensee zufrieden. Alles wird genau beziffert und von einem freiwilligen Innungsmeister auf Standardbögen notiert.

Trotz der niedrigen Beteiligung hat Isensee in einer Stadt von der Größe Bremens drei volle Tage zu tun – vormittags sind die Brötchen dran, weil sie innerhalb von fünf Stunden nach dem Backen an Frische verlieren. Nachmittags kommt das Brot zum Testen an die Reihe. Und zwischen all die kleinen Bissen von Backwaren, man mag es kaum glauben, passt noch ein Mittagessen: „Aber lieber nicht die schwere deutsche Küche, eher was Chinesisches“, sagt der für seinen Beruf erstaunlich schlanke Isensee.

Ob er schon mal die Schnauze voll von Brötchen hatte? Eigentlich nicht, aber in Hamburg fällt ihm seine Arbeit schwerer als anderswo – die Rundstücke sind ihm oft zu trocken und zäh. Richtig sauer ist ihm sein Beruf manchmal in Ostfriesland: „Da gibt's fast nur Vollkornbrötchen und sehr saure Brote. Da schaffe ich dann maximal 45 Proben.“

Danach sind die eigenen Geschmacksnerven doch etwas erschöpft. Wenn es gar zu sauer wird, misst Brotprüfer Michael Isensee mit seinem mobilen Chemie-Labor auch schon mal den pH-Wert nach. Wenn der nicht zwischen acht und neun Säuregraden liegt, gibt es ein paar Punktabzüge. not