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: HELMUT HÖGE über Neoexis

AUF SOZIALISMUS FOLGT SINNLOSIGKEIT

Ein neuer Existenzialismus macht sich breit. Ich rede nicht von der Sartre-Renaissance und Castorffs „Schmutzige Hände“-Inszenierung, sondern von den schwarz gekleideten jungen Männern. Diese – vor allem gegenüber den Frauen – als Jobverlierer Dastehenden haben sich als Counterpart zur Technokratin – im Partisanen – wiederentdeckt. In den linken Buchläden gibt es bereits ein eigenes Regal mit Partisanen-Literatur. Der kleine Mann rüstet sich für den Kleinkrieg (Guerilla).

Dieser entstand – gegen den großen Napoleon – in Spanien und Tirol. Theoretisiert wurde er jedoch von den eher feigen Deutschen Gneisenau und Clausewitz. Über Engels gelangten deren Pläne dann zu Lenin, Mao, Ché Guevara und Malcolm X. Mit dem Sieg der Volksbefreiungsarmeen und den Niederlagen der Terroristen stellt sich der „Plan“ zur Befreiung eines Territoriums nun jedoch anders dar. Er war aber schon in Dutschkes „Langem Marsch durch die Institutionen“ angedacht. Dabei ging es nicht um einen Reformweg, sondern um einen Fanonschen „Focus“ – auch noch im entlegendsten Bezirksamt: im Sinne eines Widerstandsnestes. Im Zuge des Zerbröselns der Sowjetunion, der sozialstaatlichen Errungenschaften und des gewerkschaftlichen Territorial-Tarifs – an dessen Ende die Atomisierung aller „Kämpfe“ steht, wurde auch das Partisanentum dekollektiviert.

In den USA wurde dazu die Focus-Theorie z. B. für das Marketing kleiner und mittlerer Firmen mit Produkten, die sich auf voll besetzten Märkten behaupten müssen. In Frankreich wurde dagegen der kreative Konsument im kleinen Mann als Partisan entdeckt, der sich in den elektronisch-vernetzten Megalopolen nur behaupten kann, wenn er alle Zumutungen, Erwartungen und Angebote seinen eigenen Interessen und Neigungen unterwirft – „umfrisiert“ laut Michel de Certeau. In Deutschland beschäftigte sich neben dem nationalsozialistischen Staatsrechtler Carl Schmitt der FDP-Abgeordnete Rolf Schroers – einer der Väter der Künstlersozialversicherung – mit dem modernen Partisanen. Zwar weiß er: „Die Solidarität der Bande sichert die Unantastbarkeit der Würde des einzelnen, das niemals der Tod, aber dauernd die Lebensgier selber gefährdet“, aber letztendlich läuft seine Partisanentheorie auf einen intellektuellen Existenzialismus hinaus, in dem der „Widerstand zum letzten Raum menschenwürdiger Existenz“ wird. Und Widerstand heißt nunmehr – im individualisierten Ausnahmezustand, dass man sich permanent gegenwärtig sein muss, vor die Wahl gestellt zu werden. Also dass man die Freiheit hat, in kritischen Situationen zu versagen oder seine Würde zu bewahren. Etwa indem man in der U-Bahn nicht wegkuckt oder aussteigt, sondern notfalls Partei ergreift. Nichts anderes heißt Partisan: entschiedener Parteigänger.

Der athenische Gesetzgeber Solon wollte diese Entscheidung im Konfliktfall sogar zum Gesetz erheben. Die Auseinandersetzung muss nicht immer körperlich sein, es kann auch um ein Kind bei einer Trennung gehen, um „anständiges Verhalten“ gegenüber einem Arbeitskollegen, einem Gläubiger, einer Freundin – sogar gegenüber einem „Gegenstand“ in einem Text. Aus den sowjetischen Partisanenliteraturen klauben sich nun Feministinnen und Juden ihre jeweiligen Helden heraus, die sie teils bis zum Kitschroman hochjubeln. Und die Schwulen begeistern sich für den nach wie vor vorbildhaften T. E. Lawrence (von Arabien), der nichts dagegen hatte, auch mal umgekehrt vom Gegner, den Türken, gefoltert und gefickt zu werden.

In Berlin und Nordhorn fanden gerade Ausstellungen über italienische Partisanen im Zweiten Weltkrieg statt. Im Café Burger in Mitte tagt bereits regelmäßig ein „Illegales Gebietskomitee“ – das auf den von Westlern besetzten Osten reagiert: in voller Schwärze.