„Moderne Flintenweiber“

Der Ethnologe Werner Krauß über eine Domäne des Mannes: den Fußball – aber auch über äußerst toughe Spielerfrauen und die Angst des Fußballspielers vorm Schwulsein
Interview RAINER SCHÄFER

taz: Fußball ist ein ein gesellschaftliches Ritual. Nach welchen Regeln funktioniert es?

Werner Krauß: Es ist vor allem durch Mainstream-Männlichkeitsmodelle bestimmt: die Heulsusen, die Weicheier, die Schwulen, das Mamakind. Auch wird die Frau im Fußball permanent beleidigt. Weibisches Verhalten ist verpönt. Nur als Spielerfrau sind Frauen akzeptiert, sogar gewünscht.

Warum?

Trainer wollen, dass ihre Profis früh heiraten. Dann wird nicht mehr so viel rumgehurt, die Disco verliert an Bedeutung. Das lange Zeit bestimmende Bild der Spielerfrau war: Sie sitzt zu Hause herum und hält dem Mann den Rücken frei –wie Ilka Seeler, die typische Nachkriegshausfrau: Uwe war draußen auf dem Platz und wenn er heim kam, gab’s einen deftigen Eintopf.

Heute wohl nicht mehr!

Durch Martina Effenberg und Angela Hässler sind Spielerfrauen endgültig zum öffentlichen Thema geworden. Gaby Schuster war dabei richtungweisend. Sie hat Schluss gemacht mit der präsenten, aber auch gesichtslosen Spielerfrau. Gaby Schuster hat sich ganz offen in die Geschäfte ihres Mannes Bernd eingeschaltet. Auch weil sie erkannt hat, was Männer sich antun können im Fußball, wie sie sich gegenseitig ausnehmen. Davor wollte sie ihren Bernd schützen.

Frau Schuster hat keine emanzipatorischen Ziele verfolgt?

Nicht vorrangig, genauso wenig wie Martina Effenberg. Die sagt zwar: Ich setze mich nicht mehr auf die Hühnerstange, wo die anderen Spielerfrauen sitzen, sondern zu den Bayern-Bossen. Aber den Emanzipationsdiskurs setzt sie damit nicht fort. Auch Frau Häßler bringt den Männerspruch: Ich muss dem Icke den Vertrag machen, auch wenn zwischen uns nichts mehr läuft. Der kann das nicht allein.

Das Image solcher Spielerfrauen ist nicht gut.

Das stört eine Martina Effenberg nicht. Ihr Credo lautet: Ihr könnt mich Flittchen nennen, aber ihr müsst dafür bezahlen. Die aktive Spielerfrau ist im öffentlichen Bild das moderne Flintenweib, das sich hoch schläft und Spieler ausnimmt.

Die Spielerfrau als postmoderne Hexenvariante?

Schauen Sie, der Schriftsteller Klaus Theweleit etwa unterscheidet in seinen „Männerphantasien“ zwischen weißen und roten Frauen: Die weiße ist die Krankenschwester, die passive, die gute Frau, die auch sexuell nicht fordernd ist und der man Kinder macht. Die roten Frauen sind die Flintenweiber, kastrierend, im geschichtlichen Kontext auch Kommunistinnen, Jüdinnen, Prostituierte, aber auch selbständige Frauen. Die aktive Spielerfrau, die das Heft in der Hand hält, gefährdet das bestehende heterosexuelle Ideal im Fußball.

Ist Fußball denn tatsächlich so männlich?

Er ist ein Tempel der Männlichkeit, ein Fußballer muss ständig beweisen, dass er ein Mann ist. Unsere Gesellschaft ist heteronormativ, auf dem Prinzip der Heterosexualität aufgebaut. Alles andere wird geächtet.

Nichts Neues!

Aber sich mit der Spielerfrau zu zeigen, hat auch diese Botschaft: Ich bin normal, ich bin potent. Der männliche Körperpanzer muss funktionieren. Für einen Fußballer ist es immer noch unmöglich, sich etwa als Schwuler zu outen. Wir haben in der ganzen Bundesliga angeblich keinen einzigen, was statistisch kaum möglich ist.

Worauf beruht denn das Männlichkeitskonzept im Fußball?

Auf dem Wunder von Bern. Die WM 1954 war der Gründungsmythos Nachkriegsdeutschlands und auch der Nachkriegsmännlichkeit. Der 2. Weltkrieg war auch ein totates Scheitern des männliches Ethos, wie es Ernst Jünger formuliert hatte: Der Mann hat erst den Krieg und dann die Frau kennengelernt. In Bern wurde die BRD aus dem Schoß des Mannes geboren.

Wie bitte?

Diese auf die Welt gebrachte Kriegsmännlichkeit setzt sich bis heute modifiziert im Fußball fort, sie wird immer wieder durchgesetzt, vor allem durch Sprache.

Wie funktioniert das?

Die Sprache im Fußball wird ununterbrochen sexuell aufgeladen. Männerphantasien sind Machtphantasien. Auf dem Platz und im Publikum wird der Gegenspieler als schwule Sau, als impotent, als Wichser beschimpft.

Gibt es da Unterschiede in den Stadien?

Andy Möller wurde auch beim FC St. Pauli von vermeintlich linken Fans als Heulsuse lächerlich gemacht. Das ist für einen wie Möller nicht witzig: Er hat alles ausprobiert, er kann James-Bond-Filme gucken und den Brustkorb rausdrücken, wie er will, aus der Falle kommt er nicht mehr raus. Dahinter steht die Forderung: Ein Mann muss Verantwortung übernehmen.

Darf der aufgeklärte Mann nach Ihrer Analyse Fußball noch genießen?

Man muss sich schon fragen: Was machen wir da eigentlich? Man kann Fußball auch als Gesellschaftsmaschinerie verstehen. Wir Fußballfans sind ein Teil davon, halten sie am Laufen. Vielleicht sollte man sie mal abschalten – für eine Weile.

Werner Krauß veranstaltete im vergangenen Semester an der Universität Hamburg eine Vorlesungsreihe über „Fußballkultur – Kultur des Fußballs“