Zeitlebens auf Reisen

Mit dem „Leben“ kam Farbe in die Bleiwüsten der „Zeit“ – nun präsentiert sich auch die „Reise“ in Bunt, und im April kehrt die Medienseite zurück: eine heimliche Reform von hinten

von ARNO FRANK

„Kürzlich, es war am letzten Mittwoch, da saß ich in meinem Büro“, erzählt Roger de Weck, seit zweieinhalb Jahren Chefredakteur der Zeit. „Ich saß da und bemerkte: Irgendwas stimmt nicht, irgendwas stört. Bis ich wusste, was mich so irritierte: Es war der erste Tag ganz ohne Probleme.“

Probleme gab’s und gibt es noch genügend zu bewältigen. Schließlich hatte der Schweizer am 1. September 1997 die Nachfolge von Robert Leicht angetreten, um das Blatt vom „Mehltau der letzten Jahre in eine publizistische Zukunft zu führen“ (Süddeutsche Zeitung). Keine leichte Aufgabe, krankte Die Zeit doch neben ihrer Gravität auch an traditioneller Trägheit: Sollten doch andere Medien jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treiben – hier wurde sie geschlachtet, tranchiert, analysiert. Und Wolfram Siebeck verriet zuletzt, wie sich die Filets schmackhaft zubereiten lassen.

Der Bewegung, der Dynamik, jeder Veränderung also war Die Zeit traditionell abhold. Lieber schon stand das Hamburger Pressehaus im Ruch, eine Zitadelle gründlichster Reflexion zu sein, zu der geschwätzigen Bildern ebenso der Einlass verwehrt wurde wie der Unsitte, sich mit knappen Texten einer eiligen Leserschaft anzudienen.

Doch trotz kosmetischer Retuschen am Layout war klar, dass Die Zeit nicht um eine Frischzellenkur herumkommen würde. Also ging man in Klausur, konsultierte Medienberater und präsentierte im Mai 1999 die vielleicht radikalste Renovierung in der Geschichte des alten Hauses: ein neues Ressort, das „Leben“ – entstanden aus Komponenten des „Modernen Lebens“ und dem nach langer Durststrecke eingestellten Zeit Magazin.

Im „Leben“ nun buhlen bunte Bilder um Aufmerksamkeit, graphische Experimente brechen mit Sehgewohnheiten, Texte sind lieber pointiert als erschöpfend, der fröhliche Einzug der Farben hat Gräben aufgeworfen. Was die einen als Chance zur Erneuerung begrüßen, das verurteilen andere als postmoderne Spielerei. „Postideologisch ist mir lieber“, sagt Christian Ankowitsch, neben Bruno Kammertöns einer der beiden verantwortlichen Redakteure des „Lebens“. Und Spielerei mag er sich auch nicht vorwerfen lassen, schließlich interessiert ihn das Layout vorgeblich „einen feuchten Kehricht. Es kommt auf die Inhalte an.“

Die beiden Chefs empfangen im gediegen holzgetäfelten Dachstudio, das im Berliner Exil als Quartier dient. Was das runde Dutzend fester Mitarbeiter hier produziert, bekommen auch die Hamburger Kollegen immer erst donnerstags zu sehen – wenn das „Leben“ der Zeit beiliegt. Das mächtige Mutterhaus nimmt Ankowitsch manchmal nur als riesigen Apparat wahr, „der vor sich hinsurrt“, wohingegen er gerne vom „Feeling“, ja sogar vom „Sound“ einer Zeitung spricht.

Auf einer weißen Tafel ist die redaktionelle Planung für die nächsten Wochen notiert. Zu genau sollte sie der Besucher nicht studieren, sonst regt sich Unruhe bei den Gastgebern. Schließlich ist, was dort mit blauem Filzstift festgehalten wurde, laut Ankowitsch das eigentliche Kapital des ausgelagerten Ressorts. Der Anspruch nämlich, den toten Winkel der Tagesmeldungen auszuleuchten, den Geschichten einen eigenen Dreh zu geben. „Die Gräfin wird sich mit dem Konzept wohl nicht mehr anfreunden“, sagt Ankowitsch über Herausgeberin Marion Dönhoff. Ihr Kollege Helmut Schmidt indes habe sich beim Redaktionsbesuch sehr interessiert gezeigt: „Ihm hat’s gefallen.“

Keine Spur also von Dissidenz im eigenen Haus? Darf man sich das „Leben“ nicht mehr als trojanisches Pferd vorstellen, mit dem sich Dynamik und Modernität in eine konservativ verbarrikadierte Institution einschleichen?

„Wenn Sie in einem Haus von Zimmer zu Zimmer flanieren“, sagt Roger de Weck, „dann bleiben Sie doch im selben Haus.“

Auch wenn die Ergebnisse der letzten Leserbefragung nur mäßig waren – katastrophal waren sie auch nicht. Und nun macht Farbe, was sie machen muss: Sie färbt ab, und zwar von hinten.

Seit letzter Woche nämlich ziert ein neuer Reiseteil das letzte Buch der Wochenzeitung: mit fünf neuen Themenbereichen und strahlenden Farbfotos. Der nächste Schritt, die Zeit zum „Leben“ zu verführen? Reiseredakteur Bernd Loppow laviert: „Gute Schwarzweißfotos sind immer schwerer zu bekommen“, erzählt er, und: „Wir sind textorientierter, dichter als das ‚Leben‘.“ Dennoch soll der Reiseteil „als Brücke zwischen der regulären Zeit und den mehr subjektiven Themen des ‚Lebens‘“ fungieren. Brücken braucht’s allerdings nur über Gräben hinweg – und können auch in der Gegenrichtung beschritten werden.

Ab April soll nun endlich das lange verwaiste Medienressort wiederkehren, als kombinierte Medien- und Computerseite. Doch die „wird an das Schwarzweiß-Layout angelehnt bleiben“, verspricht de Weck den Traditionalisten und redet lieber über den freien Stammillustrator, den er jedem Ressort zur Seite stellen will: „Es geht um behutsame Veränderung. Ich beteilige mich nicht mehr an philosphischen Diskussionen über Farbe und Schwarzweiß.“

Schade eigentlich: Schon der Philosoph Aristoteles behauptete nämlich, es gäbe prinzipiell keine Zeit ohne Bewegung – und umgekehrt.