Leise rieseltdie Erinnerung

Wenn Filme zu eng mit ihrer Buchvorlage kuscheln: „Schnee, der auf Zedern fällt“ von Scott Hicks

Der Schnee ist ein anderer Schnee. Er reflektiert das Licht nicht, er scheint es zu schlucken, so wie er Geräusche schluckt. Der Schnee ist schwer, und er liegt so hoch, dass die Welt nicht nur darunter, sondern auch dahinter zu verschwinden droht. So wie die Menschen, die sich in ihre Mäntel zurückziehen wie Schildkröten in ihren Panzer.

So in sich gekehrt spielt Ethan Hawke, frisch zurück von der Babypause, Ishmael Chambers in „Schnee, der auf Zedern fällt“. Also ziemlich exakt, wie ihn auch David Guterson angelegt hat in seinem gleichnamigen Bestseller von 1994. Hier wie dort ist Chambers das seltsam inaktive Zentrum einer Handlung, die zwar um ihn kreist, die sich aber nicht um ihn dreht. Chambers ist Journalist, Herausgeber, Drucker und einziger Mitarbeiter der Lokalzeitung einer kleinen Fischerinsel im äußersten Nordwesten der USA in den 50er-Jahren. Ein Mordprozess, bei dem ein japanischer Einwanderersohn angeklagt ist, einen deutschstämmigen Fischer umgebracht zu haben, bringt das beschauliche Leben durcheinander. Er konfrontiert zum einen Chambers mit seiner Vergangenheit, da er die Frau des Angeklagten seit Kindertagen liebt, und erinnert andererseits die Insel an ein wenig ruhmreiches Kapitel des Krieges. An die Zeit, in der die meist loyalen japanischen Einwanderer aufgrund rassistischer Vorurteile in Lager gesperrt wurden.

Guterson hat in seinem Buch geschickt die Zeitgeschichte mit dem Privaten verwoben und die Verfilmung von Scott Hicks, dessen Erstling „Shine“ vor vier Jahren ein Überraschungshit an den Kinokassen und für Oscars nominiert war, hält sich fast sklavisch an seine Vorlage. Der Grund dafür ist einfach: Romanautor Guterson und Filmregisseur Hicks arbeiteten eng zusammen. „Jeder Moment im Drehbuch, jeder Dialog wurde von uns beiden ausführlich durchdiskutiert“, erzählt Guterson. Ob der enge Kontakt dem Film gut getan hat, ist eine andere Frage. Die komplexe Dreiecksgeschichte mit ihren vielen Rückblenden und verschiedenen Zeitebenen, ihren moralischen, historischen, politischen und gesellschaftskritischen Ansprüchen hat schlicht zu viele Aspekte für einen leicht verdaulichen Mainstream-Film. Irgendetwas hätte geopfert werden müssen, und welcher Autor kann schon sein eigenes Werk beschneiden? Immerhin entschieden sich Hicks und Guterson auch noch, den in einer ersten Drehbuchfassung noch vorgesehenen Erzähler zu streichen. „Die Bilder sollten die Arbeit übernehmen“, so Guterson.

Zwar vermeidet Hicks viele der üblichen nervtötenden Elemente des Courtroom-Dramas, verzichtet auf Kreuzverhöre und ständiges „Einspruch“-Geplärre – aber es sind allein die Bilder, die über die manchmal unentschiedene Dramaturgie, das mitunter fehlende Tempo hinweghelfen müssen. So zum Beispiel, wenn Hawke durchs Geländer direkt in seine Vergangenheit blickt und die Sprossen so zu den Gitterstäben seines gegenwärtigen Gefängnisses werden. Und natürlich immer wieder: Bilder von Schnee. Robert Richardson, der Robert Redfords „Pferdeflüsterer“ und verschiedene Oliver-Stone-Filme fotografiert hat, taucht ihn in ein warm-vertrautes Blau, den Gerichtssaal in ein ungemütliches Braun und lässt nur in den Rückblenden den natürlichen Farben der Dinge ihren Raum.

Einerseits sucht die Kamera Details, anderseits sind viele Einstellungen wie Tableaus organisiert, in denen der eigentliche Protagonist Chambers an den Rand der Ereignisse rückt, die er nur beobachten darf. Als er schließlich gezwungen wird, einzugreifen, muss er endgültig realisieren, dass er auch das Leben nur beobachtet. Diesen melancholischen Erkenntnisprozess, im Buch eher ein Nebenaspekt, rückt Hicks in den Mittelpunkt seines Films. Deswegen bekommt wohl auch der Vater und Zeitungsgründer, in der Vorlage eher schemenhaft gezeichnet, eine gewichtigere Funktion. Sam Shepard spielt ihn als freiheitsliebenden, vitalen Pionier, der gegen Vorurteile und für Chancengleichheit kämpft, weil für ihn der amerikanische Traum noch existiert. Allerdings wirkt diese Figur in ihrer pragmatischen Ungebrochenheit mitunter antiquiert und fehl am Platze zwischen Weltkriegsveteranen und Migranten, die Gliedmaßen, kulturelle Identität oder beides verloren haben. So wird man den Verdacht nicht los, dass Hicks diesen letzten amerikanischen Aufrechten gern als wahren Helden seines Films gesehen hätte.

THOMAS WINKLER

„Schnee, der auf Zedern fällt“, Regie: Scott Hicks. Mit Ethan Hawke, Youki Kudoh, Max von Sydow, Rick Yune, Sam Shepard u. a., USA 1999, 130 Min.