Bier mit Sozialarbeiter

Die grüne Bundesdrogenbeauftragte Christa Nickels hat einen Paradigmenwechsel angekündigt: das Ende der akzeptierenden Drogenarbeit. Ihr grausiges Ziel: ein „suchtmittelfreies“ Leben

von SILKE MERTINS

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Unsereiner geht in eine Kneipe und bestellt ein Pils vom Fass. Das kommt nach den gebührlichen acht Minuten Zapfzeit, begleitet von einem Sozialarbeiter. Der Sozialarbeiter setzt sich zu dem Drogenkonsumenten an den Tisch und beginnt ein sozialtherapeutisches Beratungsgespräch. Wollen wir nicht vielleicht einmal über das Verhältnis zum Suchtmittel sprechen? Haben wir denn schon mal an eine Therapie gedacht? Wäre es nicht an der Zeit, mal die hier vor Ort integrierte Beratungsstelle, gleich dort hinten neben den Toiletten, aufzusuchen? Was, Zigaretten werden jetzt auch noch ausgepackt? Mischkonsum! Das ist besonders schlimm. Für alle Fälle lässt der Sozialarbeiter eine Broschüre da, damit der Drogenkonsument beim Drogenkonsum im Konsumraum der offenen Alkohol- und Nikotinszene was zu lesen hat.

Der Junkie soll mit Ermahnungen behelligt werden

Wenn man die Bundesdrogenbeauftragte Christa Nickels ernst nimmt, müsste so der Alltag angewandter rot-grüner Drogenpolitik künftig aussehen. Die grüne Politikern hat jüngst zwei Dinge sehr deutlich gemacht. Erstens: Das Ziel ihrer Drogenpolitik ist der Ausstieg und nichts als der Ausstieg, denn nur ein „suchtmittelfreies Leben“ (Nickels) ist erstrebenswert. Und zweitens: Nicht nur gegen illegalen Drogen will sie künftig kämpfen, sondern auch gegen die legalen Suchtmittel Alkohol und Nikotin.

Ein abstinentes Leben ist also die neue drogenpolitische Linie. Deshalb sieht das Fixerstuben-Gesetz ausdrücklich vor, dass der Junkie sich dort nicht mehr einfach seinen Schuss setzen kann. Er soll nicht länger von Besserungsermahnungen unbehelligt in staatlich geförderten Einrichtungen konsumieren. Statt dessen müssen in jedem Druckraum nun auch Beratungsangebote vorhanden sein, um ihm eine Therapie nahezubringen.

Die Stadt Frankfurt etwa, wo es seit langem Fixerstuben gibt, bringt das in arge Bedrängnis. Zwar gibt es zahlreiche Drogenberatungsstellen, aber die Druckräume selbst hatten bisher nur eine Bewandnis: Der Heroinkonsument sollte hier die Gelegenheit bekommen, statt auf der Straße, in einem geschützten Raum unter hygienischen Bedingungen zu drücken. Gleichzeitig wurde auf diese Weise den PassantInnen und AnwohnerInnen in den belasteten Vierteln nicht länger zugemutet, in jedem zweiten Hauseingang über Junkies mit Nadeln im Arm zu stolpern. Das zur Verfügung stehende Geld wurde folglich in möglichst lange Öffnungszeiten gesteckt.

Nach dem Nickels-Gesetz müssen die finanziellen Mittel nun anders verteilt werden. Die MitarbeiterInnen der Fixerstuben können bei Bedarf nicht mehr nur einfach an die nächste Beratungsstelle verweisen, sondern sie müssen dies jetzt in ihrer Einrichtung selbst anbieten. Zwangsläufig muss das dazu führen, dass entweder die Öffungszeiten reduziert oder die Zahl der Einrichtungen selbst verringert werden müssen. Im Ergebnis wird dann so oder so wieder mehr in der Öffentlichkeit gedrückt werden – mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Andere Städte werden sich womöglich gar nicht erst zur Einrichtung von Druckräumen durchringen, weil die Vorgaben exorbitant hohe Personalkosten nach sich ziehen; Geld, das viele Kommunen nicht haben.

Schlimmer noch ist aber die Marschrichtung, die Nickels mit einer Kampfrethorik vorgibt, die aus anderen Zusammenhängen bekannt ist („Nein zu Drogen“, „gefährlicher Trend“): einen Kreuzzug gegen alle Suchtmittel. Darunter ist nichts anderes als das Ende der akzeptierenden Drogenarbeit zu verstehen. Über lange Jahre ist aber genau das die Säule der progressiven Helferszene gewesen. Sie stellten und stellen sich ausdrücklich gegen die missionarisch motivierten Hilfeeinrichtungen aus dem konservativen Milieu, die unter der Maßgabe, das der Süchtige ausstiegswillg ist, zu helfen bereit sind. Die akzeptierende Drogenarbeit knüpfen ihr Angebot nicht an Bedingungen. Sie geht vielmehr davon aus, dass bedürftige Junkies Anspruch auf Überlebenshilfe haben. Sie propagiert nicht, dass Drogenabstinenz die allein selig machende Lebensform ist.

Gibt es nicht sogar ein Recht auf Rausch? Diese Frage wird zumindest für Alkohol nicht nur an bayrischen Stammtischen in der Heimat des ehemaligen Bundesdrogenbeauftragten Eduard Lindtner (CSU) mit Ja beantwortet. Auch die undogmatische Linke hat sich immer die Selbstbestimmung des Einzelnen – das gilt auch für den Rausch – und für eine Legalisierung von Drogen eingesetzt.

Der „Kick“ als Schutzwall gegen ein Leben mit Schrankwand

Nickels Verteufelung von Suchtmitteln steht im krassen Gegensatz dazu. Dabei haben die Drogen-sind-ganz-böse-Kampagnen, die die Drogenpolitik der vergangenen Jahrzehnte geprägt haben, noch nie irgendeine Wirkung gezeigt.

Spätestens seit der Kultfilm „Trainspotting“ in den Kinos lief, dürfte auch einer breiteren Öffentlichkeit klar geworden sein, dass es gerade die vermeintlichen Schattenseiten sind, die illegale Drogen attraktiv machen. Heroin und in geringerem Umfang auch Cannabis stehen für eine Anti-Ordnung, für Rebellentum und Unangepasstheit. Sie sind aus der Sicht der Konsumenten ein Schutzwall gegen Spießertum, Mittelmäßigkeit und ein Leben mit der Schrankwand auf Ratenzahlung.

Und, auch das hat „Trainspotting“ so gut wie kein anderes Aufklärungsstück auf den Punkt gebracht: Der Rausch wiegt vieles auf; er ist, wie es dort heißt, „besser als 1.000-mal ein Orgasmus“. Da kann Frau Nickels 1.000-mal sagen, dass Drogensucht krank ist und die Junkies davon abhält, ein normales Leben zu führen. Es wird nichts nützen. Junkies nehmen unter anderem auch deshalb zusätzlich zum verschriebenen Methadon Heroin oder Kokain, weil der „Kick“ beim Methadon fehlt. Und sie wollen den Kick.

Der Nickelsche Verteufelungsansatz ist wirklichkeitsfremd und gemessen daran, dass grüne Drogenpolitik auch schon mal weiter war, rückwärtsgewand. Er ist antiliberal in dem Sinne, dass wieder nur der Staat weiß, was gut für den Einzelnen ist.

Die Reduzierung des Drogenkonsums auf eine Krankheit entmündigt die Betroffenen darüber hinaus, macht sie zu hilflosen Opfern einer höheren Macht – der Sucht. Es vereinfacht den Hilfeansatz aber auch: Dienst am Nächsten, ob der nun will oder nicht.

Das Ziel, nämlich die Republik in eine drogenfreie Gesellschaft zu verwandeln, klingt wie eine Drohung. Warum einen Rotwein wie den 1993er Barolo zum Rinderbraten trinken, wenn es auch so leckeres Mineralwasser gibt? Warum ein Tütchen basteln, wenn man nur in sich hineinhorchen müsste, um festzustellen, dass man ohne Cannabis viel glücklicher wäre?

Klammheimlich wünscht man sich mittlerweile den alten Bundesdrogenbeauftragten Lindtner zurück. Der bot allen, die für eine akzeptierende Drogenpolitik standen, wenigstens ein klares Feindbild. Und einer, der wie Lindtner aus einer Gegend stammt, wo man überzeugt ist, dass ein Maß Bier am Morgen noch keinem geschadet hat, wäre wohl nie so vermessen gewesen, der Nation allumfassende Abstinenz zu verordnen.