Vier Sekunden Urteilsbegründung

■ Bergedorfer Amtsrichterin verurteilt Studenten wegen Widerstandes gegen Polizeibeamte zu 600 Mark Geldstrafe

Amtsrichterin Claudia Wetjens hatte es eilig, schließlich wollte sie am Nachmittag in den Urlaub fliegen. Mit der wohl kürzesten Urteilsbegründung der Hamburger Gerichtsgeschichte – „Ich machs kurz: Ich schließe mich den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an“ – verdonnerte sie gestern den 21-jährigen Studenten Tobias H. wegen Widerstandes gegen Polizeibeamte und versuchter Gefangenenbefreiung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen a 10 Mark.

Der Staatsanwalt hatte sich in seinem Plädoyer „ausschließlich auf die Angaben der drei Polizeibeamten“ einer Spezialeinheit aus Mecklenburg-Vorpommern bezogen. Nach deren Schildungen hatten sie versucht, nach dem Neonazi-Aufmarsch am 10. Juli eine Spontandemo auf der Bergedorfer Straße auf den Bürgersteig abzudrängen, damit der Autoverkehr wieder fließen könne. Dabei habe sich der Student André H. den Weisungen des Beamten Andreas B. widersetzt, so dass dieser ihn festnehmen wollte.

Dabei sei er von Tobias H. in die Kniekehle getreten und am Einsatzanzug gezerrt worden. Der 21-jährige Göttinger Student sei dann von anderen Beamten ebenfalls festgenommen worden. Diese Maßnahmen seien getreu nach dem Polizeirecht Mecklenburg-Vorpommerns durchgeführt worden, erklärte Andreas B. vor Gericht.

Die Augen- und Entlastungszeugen – zumeist selbst TeilnehmerInnen der Spontandemo – hatten den Fall ganz anders geschildert. Danach sei der Festnahmetrupp „plötzlich ohne Ankündigung“ in die Menge gestürmt, hätte mehrere Menschen – darunter auch André H. und Tobias H. – grundlos zu Boden geworfen und brutal abgeführt.

Verteidiger Joachim Lau hält deshalb die Polizeiversion für „unglaubwürdig“. Die stereotypen Polizeiaussagen vor Gericht würden den ebenfalls wortgleich abgefassten Berichten nach der Demo widersprechen, die darin angegebene „falsche Ortsangabe“ wurde erst im Gerichtssaal korrigiert. Lau: „Diese kollektive Veränderung des Gedächtnis macht nachdenklich.“ Deshalb will er in Berufung gehen.

Für solche Details hatte Richterin Wetjens keine Zeit. Wenn sie aus dem Urlaub zurückkehrt, muss sie sich erneut mit den Vorfällen befassen. Dann beginnt der Prozess gegen André H., in dem dessen Verteidiger Dieter Magsam die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes auf den Prüfstand stellen will.

Kai von Appen