Abgeschoben: Einmal Sri Lanka und zurück ...

■ 29 Tage lebte ein Tamile in Ungewissheit, ob er je wieder nach Deutschland zurückkehren dürfte / Fremde halfen ihm, nachdem er abgeschoben worden war

Als das Überfallkommando der Polizei vor seiner Tür stand, war Nagenthiram Kugathasan gerade von der Arbeit in einem Bremerhavener Restaurant nach Hause gekommen. Noch in Arbeitsklamotten öffnete der 22-Jährige, dann ging es blitzschnell. „Mitkommen. Sie werden abgeschoben nach Sri Lanka.“ Mit diesen Worten hielten die Beamten dem Tamilen Pass und Flugticket unter die Nase. Er solle den Koffer packen. Weil der junge Tamile das nicht glauben konnte, flog er zehn Stunden später in Arbeitskleidung. Die folgenden 29 Tage verbrachte er in einem Land, das er als 11-Jähriger verlassen hatte. „Da kannte ich niemanden.“ Jetzt ist er nach Bremerhaven zurückgekehrt. Auch dafür hat die Bremerhavener Polizei gesorgt.

„Fehler muss man zugeben“, sagt der Bremerhavener Polizeichef Michael Viehweger heute offensiv. Es habe ein „Kommunikationsproblem innerhalb der Behörde“ gegeben. Zwar besteht er darauf: „Die Abschiebung war nach den Buchstaben des Gesetzes korrekt.“ Aber eine zugesagte Abstimmung des Falles mit der Bremer Innenbehörde sei noch nicht abgeschlossen gewesen. Die Rückflugkosten bekomme der junge Tamile, der vergangenes Wochenende wieder in Bremen landete, von Bremerhaven erstattet. Er solle nicht für den internen Behördenfehler büßen müssen.

Darauf hatte auch dessen Anwältin, Gerda Baudisch-Cimen, gedrungen. Sie hatte beim Verwaltungsgericht einen Eilantrag gestellt, um ihren Mandanten zurückzuholen. Wie die Ausländerbeauftragte Dagmar Lill nennt sie die Blitzabschiebung einen Skandal. Während es offiziell geheißen habe, die Innenbehörde würde den Fall prüfen, „hatte die Bremerhavener Ausländerbehörde schon die Abschiebung perfekt gemacht“.

Tatsächlich war weder der Asylfolgeantrag des jungen Tamilen, noch sein Antrag, als Altfall anerkannt zu werden, entschieden. Dabei ist Nagenthiram Kugathasan aus Baudisch-Cimens Sicht „der klassische Altfall“. Dem Innenminister-Beschluss zufolge sollen menschliche Härten nach langem Aufenthalt in Deutschland vermieden werden. Die Voraussetzungen erfüllt der Tamile: Seit elf Jahren lebt er in Bremerhaven. Zum Stichtag verdiente er seinen Lebensunterhalt selbst.

„Die Polizisten wollten davon nichts hören“, sagt Nagenthiram Kugathasan. „Ich habe ihnen meine Wohnung gezeigt, meine neuen Möbel“, berichtet er. Die Beamten hätten abgewunken, „Anweisung“. Auch der herbeigerufene Arbeitgeber sowie Tante und Onkel blieben hilflos. „Bis nachts um eins standen wir vor der Abschiebehaft“, sagen sie. „Wir wollten doch nur zwei Minuten mit ihm reden.“ Als sie am nächsten Morgen wieder kamen, war der Neffe schon weg. Wenn die Tante davon spricht, sieht man ihr den Kummer noch an. „Ich habe gedacht, ich sehe ihn nie wieder“, sagt sie. „Als Tamile musst du in Sri Lanka nur zur falschen Zeit am falschen Ort sein, sofort wirst du verhaftet“, sagt auch der Onkel. Er und seine Frau sind in Deutschland als politische Flüchtlinge anerkannt. Was ihnen besondere Angst machte: „Der Junge ist im gefährlichen Alter.“ Er werde womöglich für einen separatistischen Untergrundkämpfer gehalten. „So einer wird schnell verhaftet.“

Das wäre Nagenthiram Kugathasan schon bei der Einreise fast passiert – hätte er nicht 200 Mark in der Tasche gehabt. Dafür ließ der Grenzbeamte ihn laufen. Natürlich bekam er keine Quittung. „Alles war schrecklich. Ich spreche nur tamil und deutsch“, sagt Nagenthiram Kugathasan. In Sri Lanka ist das eher ein Verhängnis als von Vorteil. Wer nicht das mehrheits-singhalesisch oder wenigstens englisch spricht, kommt schwer durch. Der junge Mann landete schließlich weinend im Hindu-Tempel. Doch als er sich dort einem mitleidigen Tamilen anvertraute, glaubte ihm der nicht einmal.

„Alle dachten, ich sei ein Krimineller, der sich rausredet“, sagt Nagenthiram Kugathasan. Niemand habe verstehen können, warum man einen braven Mann ohne seine Sachen und ohne Geld einfach abschieben würde. Dabei war die schlimmste Nacht seines Lebens die in Abschiebehaft. Ausgeliefert. Gescheitert der erste Versuch, die Tante anzurufen, weil deren Leitung belegt war. „Und danach ließ man mich nicht mehr ans Telefon.“

Erst nach vier Wochen Colombo galt der Deutsch-Tamile schließlich als glaubwürdig. Der mitleidige Helfer aus dem Tempel – aus dem sich Kungathasan nur zum Schlafen hinaus traute – lieh ihm sogar die für sri-lankische Verhältnisse ungeheure Summe von 39.000 Rupien für den Rückflug – nachdem er Zeuge der Gespräche in der Botschaft geworden war.. Bis heute kann er kaum glauben, welches Glück er im Unglück hatte. Immerhin haben ihn wildfremde Menschen durchgefüttert, ihm einen Platz zum Schlafen gegeben und die Telefonate mit Onkel und Tante in Deutschland ermöglicht.

Das geliehene Geld hat der Restaurant-Gehilfe allerdings noch nicht zurückgezahlt. „Wovon?“, fragt er. Er bekam in Abwesendheit ja keinen Lohn. Stattdessen liefen Miete und andere Kosten auf. Bislang hat Nagenthiram Kugathasan nur eine Duldung für einen Monat. Entsprechend kurz wird die Arbeitserlaubnis ausfallen. Dabei hat der Tamile auch hier Glück. Sein Chef sagt: „Der Mann soll wiederkommen.“

Entschuldigt hat sich bei Nagenthiram Kugathasan bislang niemand. ede