Noch ist „Killer“ auf der Flucht

Ein geplanter Brandanschlag auf den Berliner Reichstag löst eine der größten geheimen Polizeiaktionen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland aus

Wie erst jetzt bekannt wurde, fand Anfang März eine der größten verdeckten Polizeiaktionen in der Geschichte der Bundesrepublik statt. Begonnen hatte alles mit einem Hinweis des niederländischen Inlandsgeheimdienstes „Tulip“ an die deutsche Bundesregierung. „Tulip“ hatte die Leidener Stiftung „Ein Grab für Marinus van der Lubbe“ routinemäßig observiert und war zu dem Ergebnis gekommen, dass der Verein von „Anarchisten, Hooligans und Sonderlingen“ unterwandert worden sei. Eine „brandgefährliche“ Gruppe mit Verbindungen in höchste gesellschaftliche Kreise Hollands. Eine Fülle von Indizien deutete darauf hin, dass „der bewaffnete Arm“ der „Stiftung“ einen Anschlag auf ein „erstrangiges Repräsentationsobjekt einer befreundeten Nation“ plane. Bei dem Objekt handelt es sich um das Reichstagsgebäude in Berlin.

„Ein Grab für Marinus van der Lubbe“ war in die Schlagzeilen geraten, als Mitglieder der Initiative einen Gedenkstein (100 x 50 x 70 cm) für den Mann, der am 27. Februar 1933 aus Protest gegen die Nationalsozialisten den Reichstag anzündete und dafür hingerichtet wurde, in unmittelbarer Nähe des Tatortes aufzustellen gedachten. Diese „Kunstaktion“ wurde dort nicht gestattet, sodass die Holländer den Stein vor dem Deutschen Theater installierten, von wo er über Nacht spurlos verschwand.

Aus Unterlagen, die bei der Hausdurchsuchung beim – inzwischen verhafteten – niederländischen Staatssekretär für Gedenktage, Lionel van der Meulen, gefunden wurden, ging hervor, dass es sich bei dem Gedenkstein um eine mit Brandbeschleunigern gefüllte Attrappe handelte, die als Depot für einen bevorstehenden Anschlag auf das Parlamentsgebäude dienen dürfte. Während Berliner Polizeibeamte in Zivil im Umfeld diskrete Ausweiskontrollen vornahmen (ein Fahnder: „Es ist erstaunlich, wie viele Holländer wieder um unseren schönen, neuen Reichstag herumschleichen“), kontrollierten tausende Beamte von Polizei, Bundesgrenzschutz und Zoll an der Grenze in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen: auf der Suche nach „Killer“. Van der Meulen hatte den Decknamen des Attentäters nach hartem, aber, so die niederländischen Behörden, „in rechtsstaatlichem Rahmen geführten“ Verhör preisgegeben. Die Razzia an der Westgrenze führte zwar zur Beschlagnahme mehrerer Tonnen Rauschgift sowie einer Lastwagenladung Zündhölzer und Feuerzeuge – „Killer“ aber wurde nicht gefasst. Mitte März gelang es dem Wiesbadener Bundeskriminalamt, durch Datenabgleich neun Männer zu ermitteln, die als Attentäter in Frage kamen. Inzwischen konnte der Kreis der Verdächtigen auf einen reduziert werden. Der 45-Jährige hatte in seiner Jugend in der Nähe von Rijswijk 19 Hühnerställe angezündet bzw. anzuzünden versucht, war durch deutschfeindliche Ausfälle („Moffen? – Nee!“) aufgefallen sowie durch die Gründung eines obskuren Vereins „Rache für die Schande der WM-Schiebung von München 1974“. Der gebürtige Leidener, dessen richtiger Name nicht bekannt gegeben wurde, aber ein „van“ enthalten soll, pflegte Kontakte zum Utrechter Rotlichtmilieu und reiste mit einem falschen Pass auf den Namen Marinus (!!!) van de Kerkhoff vom Amsterdamer Flughafen Schiphol in unbekannte Richtung ab. Gewichtige Anzeichen deuten darauf hin, dass sich „Killer“ auf das Territorium der Russischen Föderation abgesetzt hat. Ein erneuter Datenabgleich mit Euro- und Interpol führte auf die Spur des russischen Staatsbürgers Florian Sergejewitsch Lubow. Lubow war vergangene Woche auf dem Sankt Petersburger Finnländischen Bahnhof angeblich der Pass gestohlen worden. Beim Verhör durch die russische Polizei („streng, aber streng nach rechtsstaatlichen Gepflogenheiten“) stellte sich die Unschuld des – inzwischen verstorbenen – Lubow heraus. Das Reisedokument wurde gestern früh in einem vom Berliner Senat betriebenen Bordell im polnischen Oderstädtchen Slubice gefunden. „Der Ort“, so ein führender Ermittler des Bundeskriminalamtes, „deutet darauf hin, dass sich der potenzielle Reichstagsbrandstifter ziemlich nahe an deutschem Territorium und vielleicht schon darüber hinaus bewegt.“ Aber, so der BKA-Agent: „Den Kerl kriegen wir – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.“ ULRICH ZANDER