Das Zockerhirn sitzt rechts

Die ganze Familie leidet darunter, wenn die Spielsucht zur unbezwingbaren Leidenschaft wird. Rund 120.000 Menschen leiden an einem krankhaften Zwang zum Spielen. Vor allem Männer sind betroffen

„Morgen, morgen wird sich alles wenden!“ Mit diesem Satz endet „Der Spieler“, ein Roman, mit dem Dostojewski der Spielsucht ein literarisches Denkmal und auch in der Psychologie Maßstäbe setzte.

So entwickelten Tiefenpsychologen ausgehend vom Drama des russischen Schriftstellers die These, dass der Spieler von einem unbewussten Selbstbestrafungsdrang angetrieben werde. Er will also eigentlich gar nicht gewinnen, wenn er sich an den Roulette- oder Spielkartentisch setzt – er erlebt vielmehr die Erniedrigung in der Niederlage als eine Art von Lust, die er ständig wieder erleben will.

Nun hat sich seit Dostojewski vieles geändert, auch das Glücksspiel. So sitzen die Spielsüchtigen – in Deutschland wird ihre Zahl auf 120.000 geschätzt – nicht mehr überwiegend am Roulettetisch, sondern an den Automaten in den Spielhallen. Und auch die wissenschaftlichen Theorien zum Glücksspiel haben seitdem viel Neues erfahren.

Amerikanische EEG-(Gehirnstrom)-Messungen ergaben, dass der Spielsüchtige mehr als andere Menschen in seinen Entscheidungen von seiner rechten, irrational-emotionalen Hemisphäre geleitet wird. Dies erklärt, warum er auch nach zahllosen Niederlagen immer noch hofft, doch noch gewinnen zu können, und sogar meint, dem Automaten oder der Roulettekugel anzusehen, dass jetzt „seine“ Stunde gekommen sei.

„Ihm fehlt“, wie Thomas Knecht von der Kantonalen Psychiatrischen Klinik im Schweizer Münsterlingen erklärt, „die Fähigkeit, auf den vernünftig-mäßigenden Beurteilungsfaktor der linken Hemisphäre umschalten zu können, und dadurch fehlt ihm ein wichtiger Schutzfaktor vor exzessivem Glücksspiel.“

Neben der Neurologie scheinen bei der Entstehung von Spielsucht aber auch andere Faktoren eine Rolle zu spielen. So betont Psychologe Horst Will von der Bad Hersfelder Fachklinik Wigbertshöhe, dass 94 Prozent aller Spielsüchtigen Männer seien. „Viele von ihnen“, erläutert er, „leiden unter dem Verlust des Vaters in der Familie.“ Sie suchen nach einer männlichen Identität, finden aber kein Vorbild, nichts, was ihnen Orientierung geben könnte auf der Suche nach Erfolg und Anerkennung. Und so wandern sie in die Spielhallen oder an den Roulettetisch, um am Ende doch nur die Erkenntnis zu gewinnen, ein Versager zu sein.

Recht unterschiedliche Erklärungsansätze also, die dementsprechend zu unterschiedlichen Therapiemodellen der Spielsucht geführt haben, von Psychoanalyse über Psychopharmaka (vor allem Antidepressiva) bis zu Elektroschocks.

In der modernen Spielsuchtbehandlung setzt sich jedoch in jüngster Zeit zunehmend der Ansatz durch, unterschiedliche psychotherapeutische Verfahren miteinander zu verbinden, wobei je nach Patient und je nach Therapiestadium Schwerpunkte gesetzt werden können.

„So sind gesprächstherapeutische Verfahren besonders dann nützlich, wenn der Patient in der Phase der Urteilsbildung ist, in der er Vor- und Nachteile einer Fortsetzung der Spielsucht abwägt“, erklärt Psychologieprofessor und Spielsuchtexperte Gerhard Meyer von der Universität Bremen, „während traumatische Kindheitserlebnisse psychoanalytisch erst dann aufzuarbeiten sind, wenn die Abstinenz bereits eingeleitet ist und verhindert werden soll, dass der Patient rückfällig wird.“

Eine wertvolle Stütze bilden hier Kontakte zu anderen Spielsüchtigen, die über Selbsthilfegruppen der Gamblers Anonymous (Tel.: 040/209 90 09) geknüpft werden können. Die Arbeit in diesen Gruppen kann im Leben des Abhängigen zu einer echten Stütze werden. „Voraussetzung dafür ist allerdings“, mahnt Meyer, „dass sich möglichst früh ein stabiler Stamm von Besuchern entwickelt, der regelmäßig an den Meetings teilnimmt und Aufgaben der Organisation übernimmt.“ Doch gerade damit sieht es oft düster aus. In einer Studie an 3.100 Spielern, die bei einer Selbsthilfegruppe angemeldet waren, zeigte sich, dass gerade einmal 14 Prozent regelmäßig an den Meetings teilnahmen. JÖRG ZITTLAU