„Clubs langweilen mich“

In den letzten zwölf Monaten war Laurent Garnier öfter zu Hause als in den letzten zehn Jahren. Dafür denkt er jetzt weiter als von Nacht zu Nacht und von Single zu Single – und liest seiner Frau was vor. Der beste französische House-DJ über die Bibel, Biorhythmen und die Ruhe nach dem letzten Track

Interview MAX DAX

taz: Monsieur Garnier, als Sie vor vier Jahren Ihren 30. Geburtstag feierten, hatten Sie Ihr damaliges Album vor Schreck „30“ genannt. Heute sind Sie 34. Fühlen Sie sich alt?

Laurent Garnier: Alle haben immer darauf rumgehackt, was für ein Wahnsinnseinschnitt dieses Datum im Leben ist. Meine Erwartungshaltung war dementsprechend enorm. Heute bin ich 34 und kann nur sagen: Alles hat sich geändert seitdem. All die Jahre zuvor habe ich mir immer nur eingebildet, dass ich wüsste, was ich tue. Erst jetzt weiß ich es.

Was muss ein Mann Ihrer Ansicht nach tun?

Seinen Weg finden. Beruflich wie privat. Ich musste die Tür zuschlagen hinter einer Auffassung von Arbeit, die darauf hinauslief, dass ich musikalisch immer nur von Single zu Single dachte. Außerdem bin ich in den letzten zwölf Monaten häufiger zu Hause gewesen als in den letzten zehn Jahren.

Was ist passiert?

Ich habe geheiratet und wollte meine Frau nicht gern alleine lassen. Also habe ich eben aufgehört, als DJ zu arbeiten – jedenfalls fast.

Als DJ waren Sie viel auf Reisen. Vermissen Sie diese Zeit denn nicht?

Ich erinnere mich vor allem daran, dass mein Biorhythmus komplett im Eimer war. Ich konnte Tag und Nacht nicht mehr auseinander halten. Oft war es so, dass ich nach einer Party morgens ins Hotelbett fiel und am späten Nachmittag, wenn ich aufwachte, im Fernsehen MTV lief. Ich hatte es einfach deswegen angestellt, weil ich nur Französisch und Englisch spreche und es bei MTV nicht so darauf ankommt. In Deutschland sind alle Filme synchronisiert.

Das ist die Rache der Deutschen an den Amerikanern. Für den verlorenen Krieg.

Kann schon sein. Aber wir machen das in Frankreich ja leider genauso. Vielleicht ein Fünftel der Kinos in Paris zeigt Filme in der Originalversion mit Untertiteln, mehr nicht, vom Fernsehen ganz zu schweigen.

Und MTV gefällt mir auch nicht mehr so. Immer nur Mädchen, Brüste, Strände und Clubs. Es langweilt mich. Also sage ich mir: Wenn das so ist, wenn sie meine Videos sowieso nicht zeigen, dann produziere ich doch lieber gleich Videos, die nach den Normen der Musiksender nicht aufführbar sind – cineastische Kurzfilme von einer Viertelstunde Länge mit absurder, buñuelesker Handlung.

Quentin Dupieux, der mit Flat Eric und dem „Flat Beat“ einen Welthit hatte, drehte Ihr Video „Nightmare Sandwiches“, das Sie gerade beschreiben. Ein wirklich Angst erregendes surreales Machwerk.

Genau so stelle ich mir aber Videos vor, eine Mischung aus Jim Jarmuschs „Coffee And Cigarettes“, absurde Dialoge, albtraumhafte, visionäre Bilder. Und so viel Humor! Ich liebe Quentin dafür.

Sie haben Dupieux entdeckt, als niemand einen Centime auf ihn setzte. Heute ist er Millionär. Neidisch?

Nein, ich bin ja schließlich der Geschäftsführer seiner Schallplattenfirma. Im Übrigen war er klug genug, sich selbst im Hintergrund zu halten und die gelbe Puppe zum Superstar aufsteigen zu lassen. Wir können zusammen essen gehen, und niemand spricht ihn wegen Autogrammen an.

Sie hingegen haben bis vor kurzem jeden Donnerstag im Pariser „Rex-Club“ aufgelegt.

Was ja nicht die schlechteste Adresse ist. Genauer gesagt, ist es sogar die erste Adresse in Paris. Ich habe immer im Restaurant „Le Chartier“ eine Kleinigkeit gegessen, bevor ich dann zwei Straßen weiter im Rex auflegte. Das „Chartier“ ist übrigens eines der außergewöhnlichsten Restaurants von Paris. Es ist billig, das Essen ist gut, und die Kellner hauen einem die Teller auf den Tisch. Ich liebe diesen Ort.

Warum haben Sie die Arbeit in einem so prestigeträchtigen Club wie dem „Rex“ aufgegeben?

Man gibt einen Job auf, ja, aber man wird mit einer Geschichte belohnt, die man selbst zu Ende geschrieben hat. Auch im Detail übrigens: Ich finde es toll, Menschen mit Musik zu füttern, sie die Zeit vergessen zu lassen. Aber noch mehr gefällt es mir, einen Schlussstrich zu ziehen und eine Party zu beenden, die Ruhe nach dem letzten Track zu erleben und die Erschöpfung danach zu spüren.

Wie erschöpft waren Sie nach über zehn Jahren schnellem Leben?

Zuletzt war es wie ein Autorennen, alles drehte sich immer schneller. Aber dieser letzte Abend im „Rex“, auf dem Höhepunkt unserer Popularität, Woche für Woche tausend hungrige Kids, die gemerkt hatten, dass in der Pariser House-Szene etwas Einmaliges abging – das war großartig. Hinzu kommt: Wir hatten eine andere Türpolitik als alle anderen Clubs. Niemand bezahlte mehr als fünfzig Franc für den Eintritt, was sehr wenig ist im Vergleich zu den anderen Clubs, in denen man arm wird, wenn man sie betritt.

Haben Sie Ihr neues Album deswegen „Unreasonable Behaviour“ genannt – unvernünftiges Verhalten?

Nicht wirklich. Mir war es nur sehr wichtig, auf die Reihe zu kriegen, dass es mehr gibt als meine Leidenschaft, das Nachtleben. Und plötzlich merkt man, dass man niemals eine Platte von sich selbst auflegen würde, wenn man zu Hause ist.

Das war schon eine bittere Erfahrung. Aber mit dem häuslichen Leben wurde ich mir meines eigenen Lebens bewusster. Ich begann nach langer Zeit Pause, wieder Nachrichten zu gucken, und musste feststellen, wie wenig ich mich in den letzten Jahren für das Leben da draußen interessiert hatte, diese Welt, die sich so unvernünftig benimmt. Daher der Titel.

Konnten Sie sich das nicht schon denken – irgendwie?

Das Einzige, was ich Nacht für Nacht wahrgenommen hatte, war, wie sich die Menschen im Nachtleben gegenseitig die Energie absaugten. Ich hielt das zwar für gemein, aber auch für völlig normal. Erst vor kurzem wurde mir dann bewusst, dass die ganze Welt so funktioniert. Auf der Suche nach Geld, Sex und Macht saugen sich die Menschen gegenseitig aus. Nur auf der Weltbühne eben im größeren Stil als in der Disco.

Haben Sie jetzt auch das Gefühl, die Welt verändern zu müssen?

Ich persönlich bin ja der Meinung, dass Musik eine großartige Therapie sein kann. Mit Musik wird alles besser.

Weil jeder Musik verstehen kann?

Ja, und insbesondere die Musik, die ohne Worte auskommt. Rhythmische Musik, ethnische Musik, Techno- und House-Musik. Das Schöne an elektronischer Musik ist ja, dass man sie in Paris produzieren kann, und trotzdem wird sie in Tokio verstanden, ohne dass man Japanisch können muss. Zu Musik kann man frei assoziieren.

Was, vermuten Sie, wird man in Tokio aus Ihrer Musik heraushören?

Meine Musik ist einfach gestrickt: Ich bin glücklich, ich bin traurig, ich bin nervös. Tracks, die ich produziere, sind Ausdruck solcher einfachen Gefühle. Das ist auch der Grund, weswegen ich die Musik von Derrick May so mag: Sie verstärkt meine Traurigkeit oder mein Glück. Bei seiner Musik kann ich weinen, innerlich, wenn ich auch sonst fast nie weine. Mein neues Album ist zum Beispiel ziemlich dunkel, was die darin umgesetzte Stimmung betrifft.

Hatten Sie Ärger?

Im Gegenteil! Düstere Stimmungen hat man immer mal, und musikalisch können sie sehr befreiend wirken. Musik als Therapie, wie gesagt, das ist mein Ding.

Haben Sie jemals auch eine andere Form von Therapie ausprobiert?

Seit ich meiner Frau begegnet bin, hat sie mich angehalten, Bücher zu lesen. Sie sagte: Fang einfach an, Hauptsache, du liest. Also las ich ein Buch über einen Detektiv namens San Antonio. Der reist um die Welt und vögelt überall herum, das ist sehr amüsant. Nach zwanzig Bänden fing ich an, Esoterikbücher zu lesen. Und vor kurzem hat meine Frau einen Kurs in Shiatsu-Massage begonnen, das ist wie Akupunktur, nur ohne Nadeln und stellt alles in den Schatten.

Was wären Sie ohne Ihre Frau?

Sie hilft mir sehr. Die Dinge, also meine Flugangst, der Stress und solche Sachen, laufen immer nur dann aus dem Ruder, wenn wir uns nicht sehen. Wenn wir nicht miteinander reden. Reden – das ist überhaupt die beste Therapie von allen. Als wir heirateten, haben wir uns aus der Bibel Passagen über die wahre Liebe gewünscht. Unsere Hochzeit war sehr einfach.

Nur Brot und Wein?

Nicht nur, auch Champagner. Und super Partymusik natürlich. Es war alles in allem sehr romantisch. Als wir aber von der Hochzeitsreise zurückkamen, erfuhr ich dann plötzlich, dass ich einen älteren Bruder hatte. Er kam zu meiner Familie und stellte sich mir vor: Hallo Laurent, ich bin dein Bruder. Das hat mein Leben verändert. Mir wurde klar, dass mein Vater einmal genauso drauf gewesen war wie ich. Er machte Fehler und poppte kleine Hühner hinter dem Rücken meiner Mutter. Er war eben ein Mann. Und ich habe heute ein besseres Verhältnis zu meinem Vater denn je. Ganz einfach, weil ich jetzt weiß, wer er ist.