Dem Geldstrom nicht vorauseilen

Die Entwicklungshilfe setzt verstärkt auf Projekte im Bereich „nachhaltiger Tourismus“. Über die Kriterien der Nachhaltigkeit und über Projekte in Zentralamerika und Kirgistan sprachen wir mit zwei Projektleitern vor Ort

Interview: EDITH KRESTA

taz: Obwohl das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit in den letzten Jahren Tourismus als Entwicklungshelfer als nicht sonderlich tauglich einstufte, steigt die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) verstärkt in die Unterstützung touristischer Projekte ein. Was hat sich verändert?

Klaus Lengefeld: Es ist tatsächlich so, dass es in vielen Projekten eine Komponente gibt, die mit Tourismus zu tun hat. Das sind insbesondere Projekte im Bereich Management von Schutzgebieten und Naturparks, wo versucht wird den Tourismus zu nutzen, um Einkünfte für die lokale Bevölkerung zu schaffen.

Dabei wird immer wieder vom nachhaltigen Tourismus geredet. Was versteht die GTZ unter nachhaltigem Tourismus?

Klaus Lengefeld: Nachhaltigkeit im Tourismus beinhaltet drei Aspekte: Umweltverträglichkeit, Kulturverträglichkeit und Sozialverträglichkeit. Dahinter verbirgt sich im Umweltbereich, dass die natürlichen Ressourcen in einer Art genutzt werden, dass sie künftigen Generationen erhalten bleiben. Das ist die Kerndefinition der Nachhaltigkeit. Im kulturellen Bereich heißt das, dass man die Kulturen beachtet und sie einbezieht in den Tourismus in Form eines Kulturaustausches. Im sozialen Bereich geht es darum, dass die lokale Bevölkerung einen wirtschaftlichen Nutzen vom Tourismus hat.

Sind sie mit dieser Definition einverstanden, Herr Haberstroh?

Max Haberstroh: Ja. Was wir unter nachhaltigem Tourismus allerdings besonders betonen, ist die konkrete Förderung des Mittelstandes, des kleinen und mittleren Unternehmertums. Wir haben in Kirgistan mit fünf Kleinbetrieben angefangen, Familienbetriebe durchweg.

Was haben sie konkret gemacht?

Wir haben unser Konzept auf drei Marketinginstrumente aufgebaut: auf Public Relations, um das Land bekannt zu machen; auf die Verkaufsförderung. Und die dritte Komponente ist Ausbildung und Fortbildung.

Herr Lengefeld, welche Projekte unterstützen Sie in Nicaragua?

Klaus Lengefeld: Wir arbeiten mit sechs Ländern zusammen: Honduras, Panama, Costa Rica, Guatemala, Nicaragua und Belize. Das Konzept ist, dass die Region insgesamt sich besser auf dem Weltmarkt vertreten und positionieren soll. Dabei arbeiten wir im Bereich der Imagebildung in Richtung: Region für einen nachhaltigen Tourismus.

Allein über Imagebildung?

Natürlich macht es keinen Sinn, nur ein Image zu schaffen. Deshalb arbeiten wir auch auf der Ebene der Produktentwicklung. Wir versuchen die bestehenden Produkte, die teilweise die Kriterien eines nachhaltigen Tourismus erfüllen, zu unterstützen, dass sie sich zusammenschließen zu touristischen Straßen. Ein Beispiel ist die „Ruta de Maiz“ oder eine „grüne Route“ im Bereich der Schutzgebiete, die auch die dort lebenden ethnischen Gruppen einbezieht.

Welche Projekte sind förderungswürdig?

Klaus Lengefeld: Der Ansatz der Routen will kleinere und mittlere Unternehmen unterstützen, weil sie die Verbindung zu den europäischen Entsendermärkten alleine schwer herstellen können. Natürlich kann man nicht von vornherein sagen, ab einer bestimmten Größe machen wir keine Zusammenarbeit mehr. Auch größere Veranstalter müssen in das Konzept der Nachhaltigkeit einbezogen werden.

Ist der nachhaltige Tourismus die letzte Möglichkeit, bestimmte Volkswirtschaften an den Weltmarkt anzubinden? Sozusagen Brosamen für die Armen?

Max Haberstroh: Brosamen würde ich nicht sagen. Kirgistan ist prädestiniert als Tourismusland der Zukunft. Weil es wenige Bodenschätze hat und wenige Möglichkeiten außer der Landwirtschaft, sich fortzuentwickeln. Der Dienstleistungssektor liegt quasi auf der Hand, auch der Tourismus. In Kirgistan wurden in der Sowjetzeit gigantische Betriebe, zum Beispiel im Rüstungsbereich, hingestellt. Sie haben keine Zukunft. Nun muss man sich andere Projekte einfallen lassen.

Klaus Lengefeld: Für manche Länder ist der Tourismus ganz klar eine der besseren Optionen, weil er im ressourcenschonenden Bereich liegt, weil er auch ein Einkommen für viele gewährleisten kann. Im klassischen Förderungsbereich der Landwirtschaft sind die Möglichkeiten der Einkünfte begrenzt. Andere Wirtschaftszweige wie Rohstoffe oder Industrie haben geringe Chancen auf dem Weltmarkt. Deswegen macht es Sinn, sich von entwicklungspolitischer Seite im Tourismus zu engagieren, sein ökonomisches Gewicht zu nutzen.

Aber warum sollen wir ausgerechnet in den Nationalpark nach Nicaragua fahren oder zum Issikul-See nach Kirgistan, wenn es am Bodensee auch schön ist und die Anfahrt dorthin garantiert umweltverträglicher ist? Max Haberstroh: Weil sie jemand sind, der gerne wandert, gerne Trekking macht und in Gegenden geht, die den Anspruch einer Pioneergegend haben. Kirgistan besteht aus 94 Prozent Gebirge, 80 Prozent Hochgebirge, wunderschöne Landschaft.

Klaus Lengefeld: In der Frage steckt natürlich die Frage nach der Berechtigung des Ferntourismus und ob dieser eine nachhaltige Zukunft hat. Wenn wir davon ausgehen, dass der Ferntourismus eine Gegebenheit ist, so liegt unsere Aufgabe darin, in den Ländern Zentralamerikas so Einfluss zu nehmen, dass die Tourismusentwicklung von Anfang an dafür sorgt, dass jede Mark, die ausgegeben wird, größere Chancen hat, im Land zu bleiben, und dass der Ressourcenschutz dem Land dient und der lokalen Bevölkerung. Das ist ein zu vertretendes entwicklungspolitisches Ziel. Was wäre gewesen, wenn es am Anfang der Toruismusentwicklung in der Dominikanischen Republik einen systematischen entwicklungspolitischen Ansatz gegeben hätte, nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit?

Was wäre gewesen?

Um nur eine Zahl zu nennen: Von der großen Menge an Kunsthandwerk, das in der Dominikanischen Republik verkauft wird, werden 80 Prozent importiert. Man hat versäumt, dafür zu sorgen, dass die lokale Bevölkerung partizipiert, weil es eben keine Entwicklungsprogramme gab.

Wer garantiert für die Förderungswürdigkeit eines Projekts? Wer prüft, wo die Entwicklungsgelder hinfließen?

Max Haberstroh: Da gibt es in der Tat einen Konflikt. Dieses Problem kann man aber zumindest in Grenzen halten, wenn sie beispielsweise der Prämisse folgen: keine Mark ohne Mann. Sie schicken einen Berater ins Ausland, der auch für das Budget projektverantwortlich ist.

Wie wäre die andere Variante?

Max Haberstroh: Sie gehen hin, geben das Geld dem Tourismusminister und sagen, so, jetzt mach mal, und wir beraten ein bisschen. So hätten wir zwar die Souveränitätsrechte des Landes nicht verletzt. Nur, es gibt ja verschiedene Mentalitäten, und es könnte möglich sein, dass der andere sagt: So, das Geld habe ich, mit dem renoviere ich jetzt mein Privathaus, kaufe mir noch ein Auto und ein Luxusbüro, und dann wird neu beantragt. Ein paar Millionen hin oder her – Deutschland hat genug Geld.

Klaus Lengefeld: Die Frage, wer letzlich von der Förderung profitiert, ist nicht einfach, weil es natürlich auch in den Ländern Mittelamerikas Interessengruppen gibt, die aus dem mittleren und oberen Reichtumsbereich der Gesellschaft kommen. Sie haben erkannt, das Tourismus ein dynamischer Sektor ist. Die kaufen dann Grundstücke und erwarten von der Entwicklungshilfe möglicherweise Unterstützung. Dass ist natürlich nicht unsere Aufgabe, deshalb arbeiten wir gezielt mit regierungsunabhängigen Organisationen und Unternehmensgruppen zusammen, die aus dem kleineren und mittleren Spektrum kommen. Und versuchen dort dafür zu sorgen, dass diese auch an die entsprechenden Finanzmittel herankommen. Die GTZ ist ja keine Finanzierungsorganisation.

Also, wenn der Großgrundbesitzer für sein garantiert umweltverträgliches 500-Betten-Hotel im Nationalpark Gelder beantragt, nach welchen Kriterien wird entschieden? Nach rein ökologischen?

Klaus Lengefeld: Klar ist: Im 500-Betten-Hotel lässt sich einfacher ein strikter Umweltplan machen. Das ist auch die Idee, die den Tourismusunternehmen vorschwebt, wenn sie mit Nachhaltigkeit werben. Der Weg der Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen ist natürlich mühsamer und im Umweltbereich nicht unbedingt der effektivste. Wenn man aber alle drei Komponenten der Nachhaltigkeit, also auch die Sozial- und Kulturverträglichkeit ernst nimmt, dann ist natürlich klar, dass man nur die Option hat, kleinere und mittlere Unternehmen zu fördern. Sie garantieren eine breite Streuung des Einkommens.

Max Haberstroh: Also ich sehe die Sozialverantwortlichkeit als Überbegriff des Ökologischen. Sozialverantwortlicher Tourismus ist ein ökologischer Tourismus. Dem ökologisch einwandfreien 500-Betten-Komplex steht natürlich die Tatsache entgegen, dass dezentrale kleine Hotels der Landschaft viel mehr entsprechen. Sie sind also letztendlich ökologischer. Die GTZ braucht dem Geldstrom nicht vorauseilen, sondern sie sollte dorthin gehen, wo es noch an Infrastruktur fehlt. Damit wenigstens ein Miniaturstrom den Weg dorthin findet. Das ist Aufgabe der Entwicklungshilfe.