ZUR PATENTVERGABE AUF DAS MENSCHLICHE GENOM
: Der Code des Menschen muss öffentlich sein

Craig Venter – den Namen wird man sich merken müssen. Gestern hat er die Entschlüsselung des Genes der Fruchtfliege im Wissenschaftsjournal Science bekannt gemacht. Heute die Fruchtfliege, morgen der Mensch, so lautet seine Strategie. Und mit der Fruchtfliege hat er bewiesen, dass er es kann – schneller als die Elite der Forscher im internationalen Human-Genom-Projekt (HGP).

Venter könnte der Bill Gates des 21. Jahrhunderts werden. Er streckt seine Hand aus nach dem Programmcode der Zukunft, dem Code des menschlichen Erbguts. Sollte er schneller sein als das öffentlich gesponserte HGP – und er hat gute Chancen –, könnte er sich einen großen Teil der kommerziell wichtigen menschlichen Gene patentieren lassen. Damit würde er über den Medizin-Markt herrschen wie heute Bill Gates über Computer.

Seit Mitte der Neunzigerjahre formieren sich die alten Pharma- und Chemieriesen neu, um sich auf diesen Markt, dem so genannten Life-Science-Bereich, zu positionieren. Dort werden Wachstumsraten erwartet wie zuletzt in der Computerindustrie. Venter weiß darum: Seinem Fliegengenom-Datensatz verlieh er den Titel „Release 1.0“ – ganz wie die Titel hinter den DOS- und Windows-Versionen.

Schon längst läuft – angetrieben durch US-amerikanische Biotechnik-Startups – der Wettlauf um Gen-Patente. Beim US-Patentamt liegen Tausende von Anträgen vor, ein paar hundert wurden schon erteilt. Unternehmer wie Venter oder sein Ex-Geldgeber William Haseltine üben sich schon im Rosinenpicken aus dem Genom. Dieser Run auf Patente wird aber vor allem den Gewinnen einzelner nutzen, und nicht der menschlichen Gesundheit.

Eine verhängnisvolle Wirkung entfaltet dabei das US-amerikanische Patent and Trademark Office (PTO). Es vergibt seine Patente großzügiger als sein europäisches Pendant – zu großzügig. Es genügt, eine vage Vermutung über die Funktion des Gens angeben zu können, um das Patent zu erhalten. Dazu reicht es oft, sich diese Funktion aus dem bekannten Wissen über Krankheiten und Medikamente zusammenzureimen. Und prompt wird aus der Entdeckung eine Erfindung, also etwas Patentfähiges.

Genau dies wollte das Human-Genom-Projekt vermeiden, indem es durch weitgehend öffentlich geförderte Forschung das menschliche Gen aufschlüsselt und der Allgemeinheit zur Verfügung stellt: Als eine Art Welterbe der Menschheit.

Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass es einfach unmoralisch ist, dass jemand Patente auf menschliche Gene besitzt. Doch darf man diesen Anspruch nicht zu rigide fassen: Wer zum Beispiel ein Medikament entwickelt, auf Grundlage der Entdeckung eines Gens und der Erforschung seiner Funktion, der sollte auch die Möglichkeit haben, durch einen Patentschutz daran zu verdienen. Andernfalls würde niemand versuchen, so ein Medikament, etwa gegen Aids, Krebs, Alzheimer oder einfach nur gegen Übelkeit zu entwickeln.

Das ist letztlich der Grundgedanke auch des allerersten Patents, dass 1421 von der Stadt Florenz an Filippo Brunelleschi für eine Methode erteilt wurde, wie man Schiffe sicher belädt. Zur Begründung hieß es damals, der Zweck des Patents sei, die Erfindung „ans Licht zu bringen, zum Profit von beiden, einerseits Filippo, andererseits dem ganzen Land“. Ein Patent darf nicht einfach einzelnen die Herrschaft über Wissen geben oder die Chance, sich daran dumm und dösig zu verdienen. Es soll das Wissen mehren und allen zugänglich sein.

In der Gentechnik hat nun eine Entwicklung eingesetzt, in der Patente oft so weit formuliert sind, das es kaum noch möglich ist, an ihnen vorbei zu kommen – selbst mit neuen Erfindungen. Bei jedem neuen Produkt werden so bereits horrende Lizenzgebühren an die Patentbesitzer fällig. Eine so laxe Patentvergabe, wie sie im PTO nun beim menschlichen Genom üblich ist, verstärkt diesen Effekt – und pervertiert die Idee des Patents.

Das Beispiel Microsoft zeigt, wie man mit einer marktbeherrschenden Stellung und einer restriktiven Lizenzierungspolitik den Fortschritt behindern und die Welt zwingen kann, ein schlechtes Produkt zu nutzen. Dem steht das frei zugängliche Betriebssystem Linux gegenüber, das offene Programmcodes anbietet. Der Code des Menschen sollte genauso öffentlich sein, um allen zu dienen. Patente müssen auf ganz konkrete Erfindungen wie Medikamente beschränkt werden. MATTHIAS URBACH