Das Proletariat diktiert nicht mehr

Die Kommunistische Partei Frankreichs, eine der letzten Heimstätten orthodoxer Klassenkämpfer in der westlichen Welt, sozialdemokratisiert sich

aus Paris DOROTHEA HAHN

Neun Monate harter Verhandlungen und Kämpfe hinter den Kulissen, dann stand das Ergebnis des 30. Kongresses der größten verbliebenen kommunistischen Partei der westlichen Welt fest. Am Sonntagnachmittag, wenn die Delegierten wieder aus dem südfranzösischen Martigues bei Marseille abreisen, kann der Chef der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF), Robert Hue, verkünden, dass die Wandlung seiner Partei gelungen ist.

Nachdem Hammer und Sichel, die Symbole des Klassenkampfes und der Diktatur des Proletariats, schon auf dem letzten Parteikongress aus dem Parteiemblem verbannt worden sind, werden jetzt die letzten Attribute der alten Zeit verschwinden.

In sieben Resolutionen wird die KPF ihre Statuten ändern: ihre Leitungsgremien neutral benennen, den Widerstand gegen das Maastricht-Europa und gegen die Globalisierung aufgeben, die „soziale Bewegung“ an die Stelle der „Arbeiterbewegung“ setzen, bekannte Persönlichkeiten aus dem „öffentlichen Leben“ in ihre Leitung aufnehmen, die Leitung feminisieren und verjüngen und – ganz wichtig – den Stalinismus verurteilen.

Bloß den alten Namen will sie behalten. Denn in Frankreich hat das Wort „Kommunismus“ weiterhin einen positiv besetzten Klang. Es erinnert an die Pariser Kommune von 1870/71, an die stärkste Gruppe in der Résistance gegen den Nationalsozialismus, an die größte Partei der Nachkriegszeit, die soziale Grundlagen geschaffen hat, von denen auch heute noch tausende profitieren, und es erinnert an die Dekolonisierung, an deren historischer Richtigkeit nun niemand im Lande mehr zweifelt.

Seit Donnerstagabend sitzen in Martigues knapp 1.000 Delegierte mit 500 Gästen aus aller Welt zusammen. Unter Letzteren befinden sich zwar die Italiener, die ihre Wandlung schon im vergangenen Jahrzehnt vollzogen haben und heute Sozialdemokraten sind, und die deutsche PDS, die längst ihren Namen verändert hat, aber keine Vertreter jener Kommunistischen Partei, die jahrzehntelang den Kurs auch in Paris bestimmte. Die russischen Genossen wurden wegen ihrer Haltung zum Krieg gegenTschetschenien ausgeladen.

Robert Hue, der Krankenpfleger aus der Pariser Banlieue, dessen Karriere im kommunistischen Parteiapparat bis Mitte der Neunzigerjahre völlig unauffällig verlief, wird in Martigues triumphieren. Der kleine Mann, der bei seinem Antritt als vierter Generalsekretär der KPF und als Nachfolger des Altstalinisten Georges Marchais den meisten als „Übergangskandidat“ erschien, ist zwischenzeitlich zum „Gorbatschow der KPF“ avanciert.

Nicht nur die orthodoxen Altkommunisten, sondern auch viele junge Mitglieder der Partei haben viel gegen „Robert Hue und seine Clique“ einzuwenden. In den Jahren seit seinem Amtsantritt und vor allem in den vergangenen neun Monaten der Kongressvorbereitung habe er die gesamte parteiinterne Opposition zum Schweigen gebracht.

Auf dem Kongress von Martigues sind die Hue-Kritiker, die in manchen Ortsverbänden wie Paris 30 Prozent und andernorts, wie im hohen französichen Norden, sogar die Mehrheit haben, nur schwach vertreten.

Von den immer noch knapp 200.000 Mitgliedern der KPF haben zwei Drittel an Diskussionen vor dem Parteitag überhaupt nicht teilgenommen. Orientierungslos haben sie es vorgezogen, zu Hause zu bleiben. Von den verbleibenden Kommunisten hat eine Mehrheit jene Delegierten nach Martigues geschickt, die Hue unterstützen.

Parteichef Hue, der einzige Kandidat für den Chefposten, hat seine Genossen vor die Wahl gestellt: Entweder die Erneuerung oder der Untergang.