Hollywoods schönster Sozialist

von GEORG SEESSLEN

Wie marxistisch denn nun Warren Beatty sei, fragt die Kulturzeitschrift Sight & Sounds wer weiß wie ernst in Bezug auf seinen letzten Film, den Politiker-Rap „Bulworth“. Das ist eine unamerikanische Frage, weil sie den Diskurs vor die Erscheinung setzt. Die Frage müsste wohl eher lauten: Wie links ist Warren Beatty, was eben nicht nur heißt: Ist Warren Beatty mehr oder eher weniger links, sondern auch: Auf welche Weise ist Warren Beatty links, und wie macht man das in Hollywood?

Die magische Ziffer für den Charakter von Warren Beatty, on und off screen, ist die Drei.

Eins: Er ist ein Liebhaber. Was nicht nur heißt, dass er jede Frau mit seinem wissenden Lächeln der Unreadiness rumkriegt (der Champion in „Who Had Who“ und „The Sex Register“ – doch, das gibt’s), sondern auch viel allgemeiner eine erotische Stimmung verbreitet; der Mann ist ein lebendes Aphrodisiakum, und das schönste ist: Ich bin in meinem Kinosessel nicht mal eifersüchtig oder neidisch. Aber zugleich zeigt sich in seinen Filmen auch die Kehrseite, die Angst vor dem Versagen, die Angst vor dem Gefühl, die mal komische und mal blutige Verhinderung des Geschlechtsverkehrs. Warren Beatty keucht und dampft vor Geilheit – und dann kriegt er seine Hosen nicht auf.

Zwei: Er ist ein besessener Amerikaner, lebt vom Glanz der Oberfläche und der Wiederkehr des Rituals. Er sieht nach Comics, Kaugummi, Fast Food und wie jemand aus, der früher mal Chesterfield geraucht hat, bevor ihm klar wurde, dass das der Gesundheit schadet.

Drei: Warren Beatty ist ein thinking man. Das heißt: Er denkt nicht nur über sich und die Welt nach, und versucht sich folgerichtig einzumischen in die Politik, statt sie nur perfekt auf der Leinwand wiederzuspiegeln, sondern auch darüber, was er in seinem Beruf anstellt. Mit dem Ergebnis, dass sein Werk als Schauspieler, als Autor und als Regisseur vergleichsweise schmal geblieben ist und manchmal ziemlich lange Zeit bis zum nächsten Warren-Beatty-Film vergeht.

Drei Seelen wohnen in seiner Brust

Die drei Seelen in der Brust von Warren Beatty schreiben schon ziemlich konsequent ihre eigenen Geschichten. Und eigentlich gibt es nur zwei Meta-Storys in den Beatty-Filmen. Eine Seite seines Wesens steht den anderen auf groteske Weise im Weg, wie in „Der Himmel soll warten“, bei dem er Co-Regie führte. Da ist er, nach der himmlischen Gewährung einer zweiten Chance, so vom Football besessen, dass er nie dazu kommt, die schöne Julie Christie zu küssen. Oder eine Seite der Warren-Beatty-Persona versucht mehr oder weniger verzweifelt, auf die Seite der anderen zu gelangen. Nur Warren Beatty konnte, in seinem „Reds“, den einzigen Amerikaner spielen, der ein Ehrengrab am Kreml erhielt.

Widerspruch, Maskerade, Schizophrenie und schließlich Transgression – das ist es, wovon die Filme von Warren Beatty handeln. Dabei ist Beatty eigentlich ein Überlebender aus einer vergangenen Kino-Epoche, und seine Filme, ob erfolgreich oder nicht, haben mehr mit der glorreichen Vergangenheit von New Hollywood zu tun als mit dem Kino von Lucas, Spielberg und Co.

Arthur Penns „Bonnie und Clyde“ war dafür 1967 eine Initialzündung, und Beatty gehörte zu jener neuen Art von Schauspielern, die anders als seine Schwester Shirley MacLaine nie in die Verlegenheit kam, frischen Wind in alte Geschichten zu bringen. Auch lag ihm nicht unbedingt die Rolle des klaren Rebel Hero, obwohl auch er bei Stella Adler lernte und Brandos Stil perfekt beherrschte; aber der Kerl war gehobener und gebildeter weißer Mittelstand, und man sieht ihm an, dass er nie in seinem Leben an irgendetwas Mangel gelitten hat. Eher ein bisschen zu viel hat er bekommen, das muss irgendwie aus ihm raus.

In seinem ersten Film, Elia Kazans „Fieber im Blut“ (1961), ist er der Sohn des reichen Ölmagnaten, der auf Befehl des strengen Vaters die Geliebte (Natalie Wood) verlässt. Die Allmacht dieses dunklen Vaters begleitet ihn, bis der beim Schwarzen Freitag sein Vermögen verliert. Von nun an ist Warren Beatty frei, das ödipale Problem hat sich erledigt, ganz ohne die Pose des Selbstopfers von James Dean oder Paul Newman. Aber er ist auch ein bisschen allein gelassen, immer ganz nahe an der Selbstauflösung.

Kein Wunder, dass er sich als junger Pfleger einer psychiatrischen Anstalt in „Lilith“ (1963) von Robert Rossen beinahe vollständig in der Wahn- und Traumwelt seiner Patientin (Jean Seberg) verliert. Wir haben es schon geahnt: Er hat (beinahe) keine eigene. Das Echte und Ernste ist alles schon passiert, und so ist Warren Beatty vor allem einer, der etwas imitiert, ein ironischer und doch ziemlich wunder Wiedergänger amerikanischer Mythen, des Gigolo in seinen ersten Filmen, des Westerner in Robert Altmans „McCabe & Mrs. Miller“ (1970). Und natürlich kann er in „Bonnie und Clyde“ auch nur ein Fake-Gangster sein, ein Held der Transgression, der – so sagte man in den psychosüchtigen Siebzigern – seine Impotenz mit der gewalttätigen Pose überdeckt.

Der Beatty-Widerspruch (zwischen der Liebe und der amerikanischen Obsession für die Waffe) geht aber etwas tiefer. Es ist die Angst einer Generation der zu spät geborenen vor der Bedeutungs- und Spurenlosigkeit. Deshalb wurde Beatty zum Helden der siebziger Jahre, zum (natürlich gebrochenen) Helden der Epoche einer Suche nach dem verlorenen Ich – zwischen der Epoche des rauschhaften Kollektivs in den Sechzigerjahren und der Epoche des sarkastischen Spiels mit den Identitäten in den Achtzigern: eine Gestalt des Übergangs.

Alles der Form, nichts dem Inhalt

Und der politischen Paranoia. 1974 spielt er in Alan J. Pakulas „Zeuge einer Verschwörung“ einen Reporter, der ein solides Wirtschaftsunternehmen als Dienstleistungszentrum für politischen Mord enttarnt. Und im selben Jahr folgt auf den Rückblick auf die Zeit der Kennedy-Morde die Kritik der neuen ökonomischen Geilheit. In „Shampoo“ von Hal Ashby spielt Beatty den Prototypen der Nixon-Ära: ein erfolgreicher Friseur und Frauenheld, der alle Stadien von Euphorie bis zur Desillusionierung durchmacht, ohne sein eigentliches Problem zu erkennen, nämlich dass er alles auf die Form und nichts auf den Inhalt gesetzt hat. Und da Beatty dafür selbst das Drehbuch geschrieben hat, dürfen wir getrost vermuten, dass es sich neben einer politischen Parabel auch um ein schönes Stück Selbstkritik handelt.

Nach seinem Regie-Debüt mit „Der Himmel kann warten“ (1978) machte sich Beatty an die Verwirklichung eines langgehegten Projekts, der filmischen Adaption des Berichtes von John Reed über die russische Revolution. „Reds“ war ein wuchtiges und ehrgeiziges Projekt, ein 34-Millionen-Dollar-Traktat über Liebe und Politik mitten in der finstersten Ronald-Reagan-Zeit.

Hinsehen will er, und mitmachen

Die Geschichte von John Reed (Warren Beatty) und Louise Bryant (Diane Keaton) ist auch ein Film gegen das Vergessen einer einst bedeutenden amerikanischen sozialistischen Bewegung. Und wie Beatty/Reed auf die Frage nach den Ursachen des Krieges in einem Wort antwortet – „Profit“ – das trifft nicht nur den Ersten Weltkrieg, sondern auch die Rüstungspolitik des Jahres 1982. Und noch einmal beschreibt der Film auch Warren Beatty selbst, als einen, der zugleich hinsehen und mitmachen will, als einen, der auf der einen Seite immer so viel Identität verliert, wie er auf der anderen gewinnt.

Mit „Dick Tracy“ gelang Warren Beatty 1990 der radikalste Comic-Film der Kinogeschichte. Es ging nicht darum, eine Comic-Figur zu spielen, es ging darum, auf der Leinwand zu einer Comic-Figur zu werden. Weiter ließ sich der Maskerade- und Schizophrenie-Aspekt seines Charakters nicht treiben.

Dann ist Beatty „Bugsy“ (1991) in Barry Levinsons Film, wieder ein zerrissener Gangster, eine Maske: „Er wollte berühmt sein und fühlte sich sehr unwohl mit dem, was er in Wahrheit war. Ein Gangster. Er täuschte allen etwas anderes vor. Bugsy war eine psychotische Persönlichkeit“. Sagt Beatty. Über Bugsy Siegel, den Gründer von Las Vegas.

In seiner vierten Regie-Arbeit schließlich seziert Beatty einen Politiker zwischen Narzissmus, Betrug und Selbstzweifel, und wieder ist das Bild der Politik auch ein Selbstbildnis des Künstlers. Bulworth will so nicht mehr weiterleben und dingt sich einen Mörder. Aber dann schafft der Senator doch noch einmal die moralische Befreiung, die Liebe könnte ihn erlösen, ein Wunder geschieht: Ein Politiker hört mit einem Mal auf zu lügen und beginnt die Wahrheit – zu rappen. Das ist überaus romantisch, aber anders nicht möglich in einer politischen Arena, in der es auf keiner Seite mehr die Guten gibt.

Wie links also ist Warren Beatty, den eine liberale Gruppe zum Präsidentschaftskandidaten aufbauen wollte und dem eine „Spoof-Website“ unterstellt, er mache die Menschen durch bloße Berührung zu Kommunisten? Er ist es sicher, neben seinem – auch kritischen – Engagement für die demokratischen Präsidentschaftskandidaten George McGovern und Gary Hart, durch die Auswahl seiner Stoffe, seiner Mitarbeiter, in seiner Arbeitsweise (in der, sagt man, das Egomanische mit dem Demokratischen eine perfekte Verbindung eingeht), und schließlich durch das simple, aber ganz und gar nicht Mainstream-kompatible Bekenntnis, dass Filme machen immer eine politische Angelegenheit ist. Und wie das „Profit“ aus „Reds“, so gibt es auch in „Bulworth“ einen Ausruf der Hauptfigur, der aus der Handlung heraus und direkt ans Gehirn der Zuseherinnen und Zuseher gerichtet ist: „Lemme hear that dirty word – socialism!“

Yeah, Warren, let’s hear it!