Bahnstreik abgesagt

Gewerkschaften und Bahnchef nähern sich bei Verhandlungen über Sparkurs. Grüne fordern sinnvolle Regionalisierung und Pilotprojekte

KÖLN/BERLIN taz/rtr/dpa ■ Der angedrohte Bahnstreik findet erst einmal nicht statt. So viel war schon vor dem Ende des gestrigen Spitzentreffens zwischen Bahnchef Hartmut Mehdorn und den Eisenbahn-Gewerkschaften klar. „Wenn nicht noch Stolpersteine auftauchen, wäre ich vorsichtig optimistisch, dass es ein positives Ergebnis gibt“, sagte der Sprecher der Eisenbahnergewerkschaft GdED, Hubert Kummer, gestern Abend in Köln am Rande der Marathonsitzung.

Der Bahnvorstand soll den drei Gewerkschaften ein Papier mit Vorschlägen überreicht haben. Aus Verhandlungskreisen hieß es, die Gesprächspartner seien dabei, „Wege zu finden, um den Weg der betriebsbedingten Kündigungen nicht gehen zu müssen“. Dabei werde vor allem über einen Ausbau der Altersteilzeit und eine stärkere Nutzung des Vorruhestandes gesprochen.

Bahnchef Mehdorn forderte im Vorfeld Gespräche ohne Tabus. Ein Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen sei nur möglich, wenn alle Beteiligten bereit seien, neue und unkonventionelle Wege zu beschreiten. „Falls es keine Änderungen gibt, sind bis zum Jahr 2004 neue Schulden in Höhe von 20 Milliarden Mark aufgehäuft“, so die Bahn gestern.

Streitpunkt ist vor allem der laut GdED-Berechnungen beabsichtigte Abbau von 70.000 der 240.000 Arbeitsplätze, um die Bahn wirtschaftlicher zu machen und 2004 an die Börse zu führen. Auch Lohnkürzungen werden gefordert, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sind bedroht.

Bei einem Scheitern der Gespräche wollten die Gewerkschaften zu Arbeitsniederlegungen in einer Großstadtregion mit Bahnknotenpunkt aufrufen. „Notfalls auch wochenlang“, so GdED-Chef Norbert Hansen. Die Gewerkschaften seien in der Lage, mit geringsten Mitteln die größten Wirkungen zu erzielen.

Der Verkehrsclub Deutschland hat den Gewerkschaften zu einem Warnstreik beim Ticketverkauf oder bei den Fahrkartenkontrollen geraten – das komme bei den Kunden wesentlich besser an als ausgefallene Züge.

Bahn-Aufsichtsrat und Grünen-Bundestagsabgeordneter Ali Schmidt forderte gestern, die Krise der Bahn als Chance für eine sinnvolle Regionalisierung zu nutzen. Die Diskussion sei „zu sehr auf Kostensenkungen und zu wenig auf Umsatzsteigerungen“ konzentriert. Im Nahverkehr seien 90 Prozent der Fahrgäste unterwegs. Dort seien mehr Ideen gefragt. Strecken müssten mit einer gesicherten Finanzierung an regionale Partner übergeben und bessere Wettbewerbsstrukturen geschaffen werden.

Schmidt forderte Pilotprojekte für Nebennetze. Bei Privatisierungen müsse beispielsweise auch Güterverkehr zugelassen werden. Durch Entlastungen bei Mineralöl- und Mehrwertsteuer könnten die Trassenpreise der Bahn gesenkt werden. rem

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