null toleranz
: KEIN KRUXIFIX, KEIN KOPFTUCH

So ändern sich die Zeiten. Vor fünf Jahren haben im Südwesten manche das Bundesverfassungsgericht mit heiligen Flüchen überzogen, weil es die Kruzifixe aus bayerischen Klassenräumen verbannte. Heute führen teilweise dieselben Leute das Kruzifix-Urteil im Mund, um Fereshta Ludin, eine muslimische Lehrerin, vom Schuldienst fern zu halten. Ludins Makel: Sie will auch im Unterricht ein Kopftuch tragen, weil das Ausdruck ihrer „Glaubensidentität“ sei.

Ein solches „religiöses Symbol“ habe aber an einer staatlichen Schule nichts zu suchen, heißt es nun unter ausdrücklichen Verweis auf das Kruzifix-Urteil. Auch das Verwaltungsgericht Stuttgart hat sich gestern auf diesen Standpunkt gestellt und Ludins Klage auf Einstellung abgelehnt. Die Richter haben das Kruzifix-Urteil einfach nicht verstanden. In Bayern ging es um Kreuze an der Wand, mit denen sich der Staat für alle sichtbar zu den christlichen Werten bekennen wollte. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Aufsehen erregenden Urteil moniert. Der Staat soll sich gegenüber seinen Bürgern neutral darstellen.

Fereshta Ludin wäre als Lehrerin zwar Repräsentantin dieses Staates, zugleich aber ist sie ein Mensch aus Fleisch und Blut mit einer religiösen Einstellung. Wenn Ludin im Unterricht ein Kopftuch trägt (es könnte auch ein christliches Kreuz um ihren Hals hängen), dann handelt sie als Mensch, nicht als Staat.

Der Staat ist nicht weniger neutral, wenn er akzeptiert, dass seine Angestellten und Beamten auch Menschen mit persönlichen Meinungen, Marotten und religiösen Bedürfnissen sind. Der juristische Unterschied zwischen den Kruzifixen an der Schulwand und dem Tuch um den Kopf der Lehrerin liegt also auf der Hand. Der Glauben der Lehrerin ist durch das Grundrecht auf Glaubensfreiheit geschützt, während das Schulgebäude keinen Glauben hat und eines solchen Schutzes nicht bedarf. Deshalb kann ein Schüler sehr wohl den Anspruch erheben, dass ein religiöses Symbol von der Wand entfernt wird, während er es akzeptieren muss, dass seine Lehrerin ein solches Symbol am Leibe trägt.

Tatsächlich aber ist das am Hals getragene Kreuz an baden-württembergischen Schulen kein Problem, während das Kopftuch mit Unduldsamkeit bekämpft wird. Dies zeigt: Es geht nicht gegen religiöse Symbole an sich, sondern gegen diejenigen des Islam.

CHRISTIAN RATH

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