Bigger than Biggie

Mit Gott, der Familie und den DJs: Puff Daddy gedachte in der Arena seines ermordeten Freunds und Lieblingsrappers Notorious B.I.G.

von GERRIT BARTELS

Irgendwann im Verlauf des zweistündigen Puff-Daddy-Konzerts am Freitagabend in der Arena traut man seinen Augen nicht mehr: Da schnappt sich Puff Daddy doch tatsächlich eine große Deutschlandfahne und läuft damit gut eine Minute über die Bühne, bevor er sie ins Publikum wirft. Eine prima Einlage, irgendwie schwachsinnig, aber toll: Ein Showman wie Puff Daddy ist immer für eine Überraschung gut.

Besonders aber für Konzertabsagen. In schöner Regelmäßigkeit wurden in den letzten Jahren seine Auftritte erst angekündigt, dann verschoben, schließlich abgesagt. Nicht ohne Folge: Denn viel los ist für ein Konzert dieser Größenordnung an diesem Abend nicht. Weder vor der Arena, wo die Schwarzhändler ihre Karten nicht loswerden und sich nicht mal ein paar Kreuzberger B-Boys für die in der Eichenstraße stehende schwarze Lincoln-Limousine mit Überlänge interessieren. Und auch nicht innen drin, wo man die Bühne um einige Meter nach vorn gezogen hat und höchstens drei- bis viertausend Leute den müden Auftritt der Vorgruppe verfolgen.

Die halb volle Arena muss für Puff Daddy eine Enttäuschung sein, gilt er doch als einer der glamourösesten und undurchsichtigsten Figuren des HipHop- und Pop-Business. Er ist der Produzent und Entdecker von Leuten wie Notorious B.I.G, Mase, Lil’Kim, 112, Jay-Z, Total und vielen anderen, er hat am perfektesten und popkompatibelsten die Fusion zwischen HipHop und R&B vorangetrieben. Richtig berühmt gemacht hat ihn aber erst die Ermordung von Biggie Smalls aka Christopher Wallace aka Notorious B.I.G im März 1997.

Er widmete seinem toten Zögling die Police-Adaption „I’ll Be Missing You“, die erfolgreicher als das Original werden sollte, benahm sich fortan als Pate, Leichenfledderer und Erbverwalter und verleibte sich nebenbei auch sonst noch geschickt den weißen Mainstream für seine Zwecke ein, von Lisa Stansfield über David Bowie bis zu Led Zeppelin. Bigger than life, bigger than Biggie, bigger than God – Puff Daddy kennt da nichts. Und so lässt er sich auch in der Arena nicht durch den mäßigen Publikumszuspruch beirren. Nachdem sechs weiß gekleidete Tänzerinnen ihm wie Engel an der Himmelspforte zu den Klängen von Carmina Burana den Weg gewiesen haben, schwebt er langsam von einer großen auf der Bühne aufgebauten Treppe nach unten, in einem weißen Anzug, ganz Superstar, ganz Conférencier, ganz Abgesandter Gottes.

Als dieser ist er gekommen, um die Erinnerung an Notorius B.I.G. aufrechtzuerhalten. Immer wieder flimmern Bilder von Biggie über eine große Leinwand, immer wieder wird die Show Biggie dedicated, immer wieder weist Puff Daddy auf die von ihm und der Mutter Biggies gegründeten Wallace-Foundation.

Das Erinnern an Notorious B.I.G. aber ist nur eine der Botschaften Puff Daddys. Ihm geht es genauso um die Wichtigkeit des Familienzusammenhalts, um den Zusammenhang von Familie und Geschäft. So treten in der Arena neben Puff Daddy die schlechten Rapper Little Cesar auf, die gute Vocalgroup 112, die sich nicht vor Dru Hill zu verstecken braucht, und der R&Bler Carl Thomas, der „In The Air Tonight“ schmachtet. Und da die ebenfalls angekündigten Black Rob nicht kommen konnten, wird von denen einfach ein Video gezeigt.

Sie alle werden demnächst ein von Puff Daddy produziertes Album veröffentlichen, sie alle werden von ihm dementsprechend gefeaturet. Sie alle aber sollen auch verschleiern, dass Puff Daddy selbst ein alles andere als begnadeter Rapper ist, der live noch jeden seiner Hits kaputtbekommt: Zu den musikalischen Höhepunkten zählen neben den Auftritten von 112 und Carl Thomas eher die vielen den Auftritt unterbrechenden Samples und Interludes. Vor deren Hintergrund macht Puff Daddy seine Ansagen, stellt drei Regeln für seine Show auf (Spaß, Spaß und noch mehr Spaß) und moderiert die beliebten HipHop-Spielchen mit dem Publikum: Werft eure Hände in die Höhe, macht auf dieser Seite viel Lärm und auf der anderen noch mehr. Dabei lässt Puff Daddy immer wieder verlauten, wie unten er ist mit Hardcore-HipHop, mit deutschem HipHop, mit Berlin und Deutschland überhaupt. Das will zwar alles nicht so recht passen, von wegen Authentizität und so, da nützt ihm auch die kürzliche Verhaftung wegen unerlaubten Waffenbesitzes nichts. Doch die Inszenierung stimmt und ist bei ihm alles, die Inhalte sind eher nichts.

Auf diese Weise wird in full effect an Gott und Biggie geglaubt, auf diese Weise geht obligat die Frage ans Publikum: „Do you believe in God?“, die jubelnd bejaht wird. That’s entertainment, wie Puff Daddy es versteht, mit Gott und den DJs, mit kleinen Explosionen und der großen Familie.

Am Ende kommen dann alle zu Sister Sledges „We Are Family“ auf die Bühne und verabschieden sich in einem bunten Konfettiregen: Großes Kino, perfekte Show.