Preetz schoss, Dundee traf

Wieder einmal zog Hertha BSC den Kürzeren, diesmal beim VfB in Stuttgart. Die neuerliche Teilnahme am europäischen Fußballgeschäft rückt damit noch weiter in die Ferne

von NINA KLÖCKNER

Wer kann begreifen, dass ausgerechnet jetzt, da die Deutsche Bahn mit allen Mitteln versucht, ihr Unternehmen vor dem Ruin zu retten, im Zuge der „Langen Nacht der Museen“ in der Expressguthalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs Salvador Dalis surrealistische Musik gespielt wird? Wer wüsste schon schlüssig zu erklären, dass das Islandtief „Karola“ nach Osten weiter zieht, während die Umlaufredentite am Rentenmarkt weiter bei 5,10 Prozent verhart?

In Zeiten, in denen immer weniger Bewohner dieses Planeten den Gang der Dinge verstehen, fällt es offenbar auch dem Stuttgarter Torwart Franz Wohlfahrt schwer, schlüssige Antworten zu finden. „Über die Problematik der Dinge, die auf dieser Welt passieren, können wir jetzt viel diskutieren“, sagt er, obwohl der Reporter nach dem 1:0-Sieg der Stuttgarter gegen Hertha BSC nur wissen wollte, warum der VfB gegen Mannschaften wie Berlin gewinnt und gegen Frankfurt verliert.

Nun kann man dem Österreicher seine Aussage nicht richtig übel nehmen. Schließlich hat der VfB Stuttgart in dieser Saison schon so ziemlich alles probiert. Mit recht wechselhaftem Erfolg. Trainer Ralf Rangnick schickte seine Elf bisher immer mit einer Viererkette in der Abwehr auf den Rasen. In der Angriffsabteilung variierte er zwischen der Kombination aus zwei offensiven Mittelfeldspielern und einem Stürmer oder einem Mittelfeldmann und zwei Stürmern. Vor dem erfolgreichen Spiel gegen die Bayern ließ er einen Mentaltrainer aus München anreisen, unter dessen Anleitung die Spieler zwischen ihren Kehlköpfen Eisenstangen verbogen haben. Diesmal blieb das Metall im Keller. Dafür überraschte Rangnick erstmals mit einer Dreierkette in der Defensive, wodurch ein Platz für einen weiteren offensiven Spieler frei wurde. Aber warum sein Team eine Woche zuvor gegen Schalke noch „grottenschlecht gespielt hat“ und diesmal „mit Moral und Bereitschaft“ zu Werke ging, konnte auch Rangnick nicht schlüssig begründen.

Dabei wäre die Erklärung für den Erfolg diesmal eigentlich relativ naheliegend gewesen. In der ersten Halbzeit plätscherte das Spiel so vor sich hin, und man konnte den Eindruck bekommen, dass sich beide Mannschaften an diesem sonnigen Nachmittag mit einem torlosen Unentschieden zufrieden gegeben hätten. Aber zehn Minuten nach dem Pausentee entschied sich der Schiedsrichterassistent Günter Perl dem Spiel durch eine plötzliche Gedächtnislücke eine andere Wendung zu geben.

Der Stuttgarter Abwehrspieler Pablo Thiam konnte die so ziemlich einzige gelungene Aktion der Herthaner im Fünfmeterraum nur noch mit der Hand übers Tor lenken. Der Schiedsrichter Helmut Fleischer hatte von all dem nichts mitbekommen, da ihn die Berliner aber kollektiv bestürmten, machte er sich auf den Weg zu seinem Kollegen an der Linie. Der hatte zwar deutlich gesehen, dass es bei der Situation nicht mit rechten Dingen zuging, konnte sich aber partout nicht mehr daran erinnern, wer nun die unerlaubte Extremität zur Hilfe genommen hatte. Was den Berliner Trainer Jürgen Röber später zu der mystischen Aussage veranlasste, dass wohl „keiner wusste, wer da die Hand im Spiel hatte“.

So blieb der unsichtbare Thiam davon verschont, frühzeitig zum Duschen geschickt zu werden. Herthas Stürmer Michael Preetz schoss den fälligen Elfmeter so zielgenau auf Stuttgarts Torhüter Wohlfahrt, dass der sich eigentlich nicht einmal zu bewegen brauchte. Und zehn Minuten später schickte Thiam seinen Kollegen Sean Dundee mit einem Traumpass auf die Reise, die dieser mit seinem siebten Saisontor abschloss – 1:0 für den VfB. So schnell kann es gehen.

Die Stuttgarter haben sich durch den Sieg „nach unten etwas Luft verschafft“, sagt Rangnick, was angesichts der Tabellensituation ein bisschen tiefstaplerisch klingt, bei der momentanen Lage im Verein aber realistisch ist. Denn es brodelt an allen Ecken und Enden. Vier Tage vor dem Spiel setzte Rangnick Krassimir Balakov als Kapitän ab, weil der sich nach dem der Partie gegen Schalke daneben benommen hatte. Die Führungsetage hat sich selbst in eine Krise hineinmanöviert, die den Verein praktisch lahmlegt. Und so kann man es Sportdirektor Karlheinz Förster nicht übel nehmen, dass er sich nach dem Sieg über „die erste positive Nachricht in dieser Woche „ freut.

So beschäftigt sich an diesem Nachmittag jeder mit seinen eigenen Problemen. „Unterm Strich haben wir uns selbst geschlagen“, sagt Berlins Trainer Röber. Denn „wir sind hierher gefahren, um uns vom VfB abzusetzen“, sagt Dariusz Wosz, „das ging völlig schief“. Nach dem Ausscheiden aus der Champions League bleibt den Berlinern nur noch die nationale Runde, um sich fürs internationale Geschäft zu empfehlen. Die Niederlage „ist ein Rückschlag“, sagt Dieter Hoeneß, „aber kein entscheidender“.