„EM für alle – sonst gibt’s Krawalle“

350 Fußballfans demonstrieren friedlich für Reisefreiheit und gegen Meldeauflagen im Vorfeld der Europameisterschaft. Ausschreitungen will die Bundesregierung mit einem schärferen Passrecht verhindern

Hooligans können auch friedlich sein. Das war die Botschaft der rund 350 Fußballfans, die am Samstag ohne Zwischenfälle durch Mitte marschierten. Mit Parolen wie „Polizeistaat – nein danke“ und „Reisefreiheit für alle“ demonstrierten sie gegen „Sondergesetze für Fußballanhänger“. Sie wollen ohne Passeintragungen und Meldeauflagen im Juni zur Fußball-Europameisterschaft in die Niederlande und nach Belgien fahren.

Nach den Plänen der rot-grünen Bundesregierung sollen in die Pässe bekannter Hooligans Reisebeschränkungen eingetragen werden. Eine illegale Ausreise würde dann schon als Straftat statt wie bisher als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Bundestag und Bundesrat müssen dem Kabinettsentwurf noch zustimmen.

Hintergrund der Gesetzesverschärfung sind die Ausschreitungen deutscher Hooligans bei der Fußballweltmeisterschaft vor zwei Jahren. Der französische Polizist David Nivel wurde dabei fast zu Tode geprügelt. „Der Fall Nivel war ein Ausrutscher“, kommentiert Demo-Initiator Cletus Casady trocken. Den Demonstranten ginge es um ihr Recht auf die so genannte „dritte Halbzeit“, in der sich Hooligans untereinander schlagen. Dieser Spaß werde ihnen mehr und mehr genommen, beklagt Hertha-Fan Dirk. Als er zum Champions-League-Spiel nach Prag wollte, wurde er an der Grenze festgehalten. Andere Hooligans mussten sich zu Spielbeginn bei ihrer örtlichen Polizeidienststelle melden.

Denn bereits mit dem bisherigen Passgesetz ist eine Einschränkung der Reisefreiheit zeitlich und örtlich befristet möglich. Als Grundvoraussetzung muss eine „erhebliche Gefährdung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland“ vorliegen. Das ist nach Ansicht von Bundesinnenminister Schily (SPD) der Fall, wenn „gewaltbereite deutsche Hooligans im Ausland“ auftreten. Nach seinen Angaben sind schätzungsweise 8.000 Personen im Bereich des Profifußballs gewaltbereit. Davon gelten 2.700 als „besonders aggressiv“. Alle sind in der Computerdatei der „Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze“ des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts registriert.

Die Hooligans sehen sich als Versuchskaninchen, an denen die „Sondergesetze“ zuerst ausprobiert werden. Doch schon bald würden sie auch auf Atomkraftgegner bei Castortransporten oder auf Bauern, die in Brüssel demonstrieren wollen, eingesetzt werden. Immer wieder riefen die Fußballrowdys: „Wir demonstrieren für unsere und eure Bürgerrechte!“ Doch die meisten Passanten schauten den kahlrasierten Männern verständnislos zu. Nur eine Schar Kinder reihte sich ein und tanzte zum laut dröhnenden deutschen Kinderliedgut von Pinocchio bis Pippi Langstrumpf. SILVIA LANGE