Mulier tacet in Boxenstopp

Boxen, jeder Stereoanlagenbesitzer wird da gern zustimmen, Boxen kann man eigentlich nie genug haben. Beziehungsweise: andere Boxen, neue Boxen!

Es gibt leider Momente, in welchen mein Hirn sich ausschaltet, verabschiedet, nicht mehr „mitmacht“, weg ist, nicht mehr da, verschwunden, „auf Reisen“, futsch, nachgerade futschikado. An jene Stelle, wo sich das Hirn vorher möglicherweise befunden haben könnte, schleicht sich etwas anderes, schädelfüllendes. Zum Beispiel: ein Paar großer, gut aussehender, zart vibrierender, praller Lautsprecherboxen, kurz: Boxen. Boxen, jeder Stereoanlagenbesitzer wird mir da gern zustimmen, Boxen kann man eigentlich nie genug haben. Beziehungsweise: andere Boxen. Neue Boxen. Größere Boxen.

Alte Boxen klingen Scheiße. Neue hingegen richtig gut

Alte Boxen klingen grundsätzlich Scheiße. Neue Boxen hingegen klingen richtig gut. Das Essen schmeckt besser, wird es nur untermalt vom Klang einer Musik, die aus neuen Boxen säuselt, wahlweise auch wummert. Das Problem dabei: Neue Boxen sind teuer. So teuer! Zu teuer.

Aber manchmal, manchmal gibt uns das Schicksal eben einen Wink. So an jenem denkwürdigen Nachmittag, als ich in Hochstimmung und Begleitung einer zauberhaften weiblichen Person einen frisch gemieteten Umzugswagen über den Parkplatz eines Münchner Baumarktes steuerte, voll mit sündteurer, frisch gekaufter Farbe für die frisch gemietete sündteure Wohnung, die ich mir aufgrund eines frisch angetretenen Jobs leisten zu können glaubte. Mit quietschenden Reifen versperrte ein Kleinbus unseren Weg, und heraus sprangen zwei Gestalten im Blaumann, der eine lang, der andere kurz, schief grinsend und, sie kamen jetzt näher, nicht zahnzusatzversichert.

„Brauchst du Boxen?“ Sofort war es um mich geschehen

Der Lange bedeutete mir, die Scheibe herunterzukurbeln, was ich, entgegen der Warnung meiner Beifahrerin, auch tat. „Brauchst du Boxen?“, fragte der Lange, und um mich war es geschehen. Neue Boxen! Der Gedanke an neue Boxen schob sich vor mein Bewusstsein, das Gehirn – siehe oben. „Lass mal sehen!“, sagte ich, und schon war ich aus dem Auto draußen, dran am Kleinbus, in ein Fachgespräch verwickelt über Boxen. Über neue Boxen. Von Frequenzgang erfuhr ich, von Ausgangs- wie Eingangsleistung, auch von Silikoneinsatz zur Klangverbesserung. Ich verstand zwar kein einziges Wort, nickte aber eifrig. Man will ja nicht als Trottel dastehen.

Neue Boxen! Ihr Erwerb versprach den Kitzel des Illegalen: Die beiden Gestalten, erfuhr ich, seien Angestellte einer Hi-Fi-Firma, deren Name mir doch sicher ein Begriff sei (war er nicht, ich nickte), und sie hätten den Auftrag gehabt, eine Fuhre Export-Boxen (Boxen!) vom Flughafen abzuholen. Es seien aber zwei Paar zu viel an Bord gewesen. Die wollten sie jetzt verkaufen, schnell in der Mittagspause. Was ich denn zu zahlen bereit wäre? Na ja. „Halt, bevor du ein Angebot machst, schau dir das an“, sprach der Lange und deutete auf seinen Kollegen. Stumm zog der Kurze eine zerfledderte Hi-Fi-Zeitschrift aus der Tasche und präsentierte mir eine mit Kugelschreiber umringelte Kleinanzeige. Da suchte doch tatsächlich jemand die Boxen, die mir hier gerade angeboten wurden. Gebraucht. Für 4 000 Mark. Pro Stück. Nun. „800 – für beide?“ Ich kam mir unheimlich schlau vor. Da drang ein störendes Geräusch an mein Ohr: „Sag mal, brauchst du überhaupt Boxen?“ Wer sprach? Wer unterbrach? Meine Mitfahrerin. Die hatte ich ganz vergessen. Was sollte das denn? Jetzt? Hier, mitten im wichtigen Gespräch? Ich hieß sie im Wagen warten. Mulier tacet in Boxenstopp. Den Geldautomaten erleichtert und die Kartons umgeladen – das alles geschah im Boxenrausch.

Mein Bruder war skeptisch, obwohl ich ihm die Räuberpistole vom Boxenerwerb in schillernden Farben ausgemalt hatte. Ich sei wahrscheinlich betrogen worden. Wenige Minuten später, nach Anschluss und Inbetriebnahme der neuen Boxen, musste er jedoch meine überlegene Geschäftsleistung zugeben. Die neuen Boxen klangen hervorragend. Das tun sie immer noch. Und wenn ständig irgendwelche selbst ernannten „Hi-Fi-Fachmagazine“ vor dem Erwerb von Lastwagenware warnen und speziell vor meiner Marke, dann ist das alles gelogen. Es lügt, wer behauptet, sie seien nichts wert, sie klängen „breiig“ oder auch „dumpf“. Vielleicht alle anderen Boxen von allen anderen Menschen. Aber nicht die meinen. Mein Paar großer, gut aussehender, zart vibrierender, praller Lautsprecherboxen. Meine Boxen. Boxen!

So viel zu meinem Hirn.

STEFAN KUZMANY