Lenin und Uuul-mer

Nach dem 1:0 gegen Ulm wächst in Unterhachingder Glaube, dass jetzt mindestens alles möglich ist

Unterhaching taz ■ Mario Basler war da. Alois Glück war da. Und Lenin. Letzterer natürlich nicht leibhaftig. Aber in Block D, Reihe 13, Platz 24 saß am Freitagabend im Sportpark der SpVgg Unterhaching ein Mann, der mit Spitzbart und brauner Schlägermütze verdächtig an den kommunistischen Lenker erinnerte. So war es nicht zu vermeiden, dass der kuriose Doppelgänger von den Besuchern aufmerksam begutachtet wurde, teils mit skeptischem Blick, teils erfreut wie jener Gast, der spontan ausrief: „Ich bin froh, dass Lenin da ist. Mit dem Aktienwahn muss Schluss sein.“

Mit dieser Bemerkung war er in Unterhaching genau am richtigen Ort. Nun hat unser feines Land ja einen Zustand erreicht, der von spekuliersüchtigen Menschen bedroht wird, und so hat man sich auch im beschaulichen Unterhaching entschlossen, kapitalistische Gesetze wirken zu lassen. „CE Aktie“ nennt sich das dortige Wundermittel, das die Beteiligten reich und die Fußballer der SpVgg nicht absteigen lassen soll. 15 Millionen Mark hat zu Saisonbeginn ein Mann, so sympathisch wie Jürgen Drews, für drei Jahre in den Verein investiert. Sein Name: Erich J. Lejeune. Sein Beruf: Microchip-Hersteller. Und Motivator (nach eigener Aussage sogar „Deutschlands Motivator Nummer eins“).

„Du schaffst, was du willst“, ist einer seiner markigen Leitsätze, und weil er selbst daran glaubt und diese Worte gleich bandenweise am Spielfeldrand abdruckt, scheinen seine Spieler den aufgedrängten Rat zu befolgen. Sie bezwangen im Duell der Aufsteiger den SSV Ulm mit 1:0. Und das, obwohl beide ebenbürtig schlecht waren. Warum gewann Unterhaching? Wegen: Ja. Lejeune. Man muss sich das so vorstellen: Kurz vor Anpfiff marschiert der Motivator in die Kabine, hält eine Rede, brüllt: „Ärmel hochkrempeln!“ Das hilft. Während sämtliche Ulmer Spieler mit heruntergezogenen Ärmeln antraten, praktizierten sämtliche Hachinger die Lejeunesche Variante, schoben das Trikot über die Ellenbogen – und siegten.

Böse Zungen behaupteten zwar hernach, die Begegnung sei das einzige Zweitligaspielen der ersten Liga gewesen (außer dem Hinspiel). Es könnte auch eine Partie aus der 3. englischen Liga gewesen sein, Petersborough gegen Notts City etwa. Ulms Janos Radoki will so etwas nicht wissen: „Was zählt, ist der Klassenerhalt.“ Richtig. Wie also stehen die Chancen bei den Neulingen, acht Spieltage vor Saisonende? Bei den Ulmern: schlecht – wenn sie nicht schon bisher fleißig Punkte gesammelt hätten. Ein Beispiel: „Ich will nicht über die Vergangenheit sprechen“, sagte Torwart Rainer Laux, um nur einen Atemzug später hinzuzufügen: „Auch wenn wir vergangene Woche verloren haben: Wir sind keine 1:9-Mannschaft.“

1:9-Mannschaft. Dieses Etikett klebt an den Ulmern mittlerweile lästig wie Lakritz zwischen den Zähnen. Nervös wirken die Schwaben auf einmal, befangen und kopflastig. Sie strahlen nicht mehr die vertraute Unbefangenheit aus. Jedenfalls war das Gejammer über die „unglückliche Niederlage“ gegen Unterhaching so oft zu hören wie Werbung im Radio. Ulm hat noch Vorsprung auf die Abstiegsplätze. Außerdem glaubt Trainer Martin Andermatt: „Wer meint, diese 1:9-Mannschaft wird Probleme haben, täuscht sich. Wir werden trotzig aus dieser Situation herausgehen.“

So wie die eigenen Fans, die nach Unterhaching reisten, wild trommelten und sich auch dadurch nie entmutigen ließen, dass Ulm der einzige Bundesligaklub ist, dessen Zahl der Silben nicht ausreicht, um die eigene Mannschaft ordentlich anzufeuern (“Uuulm“ geht nicht, die Fans singen: „Uuul-mer!“).

Und Unterhaching? Eigentlich könnte dort die Welt in Ordnung sein. Nicht nur wegen der vier Silben Anfeuerungspotenzial. Drei Punkte gegen den Abstieg geholt, „die Meute auf Distanz gehalten“ (Alexander Strehmel), zufriedene Fans; 9.000 Unterhachinger kamen diesmal ins Stadion, bei 18.000 Einwohnern der eigenständigen Gemeinde (nicht München!) eine beachtliche Quote.

Für diese Saison darf Unterhaching weiter optimistisch sein. Und überhaupt: Sollten sie dennoch einmal abstürzen in die 2. Liga und auch nicht mehr hochrangigen Besuch erhalten wie von Basler, Lenin oder Glück, dem CSU-Fraktionsvorsitzenden wird sich nicht viel ändern in Unterhaching. Außer dem Leitsatz von Lejeune. Der hieße dann wohl: „Du schaffst fast alles, was du willst.“ GERALD KLEFFMANN