Deutschland? Bloß nicht!

Ausländische Experten, vor allem Inder, sollen den deutschen Bedarf an Computerfachleuten decken. Was die hitzige Debatte übersieht: Die Inder wollen gar nicht kommen
von ASHWIN RAMAN

Es geht nicht in meinen orientalischen Kopf: Da wird eine landesweite Debatte über Green Cards für indische Computerspezialisten geführt, ohne die Frage zu klären, ob diese überhaupt kommen wollen. Ich gebe es Ihnen schriftlich: Die Inder möchten gar nicht nach Deutschland.

Die deutsche Diskussion ist beladen mit Arroganz und Ignoranz. Aus der Politik kommen Ankündigungen wie „dies soll eine einmalige Aktion sein“, man spricht von einer „auf fünf Jahre begrenzten Visumspflicht“. Und dann kam der Spruch der Sprüche: „Kinder statt Inder.“ Mit diesem originellen Slogan hat sich Herr Rüttgers einen Platz in der Ewigkeit reserviert – neben politischen Komödianten wie Lübke und Kohl. Wo Lübke – er nannte den Präsidenten von Mosambik „Herr Maputo“ – und Kohl – der Gorbatschow als „zweiten Goebbels“ bezeichnete – es zumindest bei einer Peinlichkeit beließen, setzte Rüttgers seinem berühmten Spruch noch eins drauf. Plötzlich verwandelt er sich in einen Inderfreund: „Man sollte einem armen Land wie Indien nicht die Fachkräfte wegnehmen.“

Auch die deutschen Gewerkschaften und Arbeitsämter sind der Auffassung, dass die Inder am besten zu Hause blieben: Sie weisen darauf hin, dass hierzulande 32.000 arbeitslose Computerfachkräfte zur Verfügung stehen. Dazu gehört auch mein Freund Zoltan, 50 Jahre alt. Vor seiner Arbeitslosigkeit hat er im Ersatzteillager des Lüner Lippewerkes gearbeitet. In sechs Monaten wurde er jetzt zum „EDV-Fachmann“ umgeschult. Der Großteil der 32.000 sind derartige Fachmänner. Sie sind durchaus in der Lage, E-Mails zu verschicken – gefragt aber sind Web-Designer, High-Tech-Programmierer und andere helle Köpfe. Die Bundesanstalt für Arbeit sollte diesbezüglich still sein. Es wurden Millionen von Steuergeldern verschwendet, um ein Heer von Hobbybastlern auszubilden.

Wer nicht ganz auf die Inder verzichten will, wie die Multikultianer, der bereitet sich auf die Auseinandersetzung mit dem Hinduismus vor. Doch Achtung: Bitte keine voreiligen ABM-Anträge stellen! Es könnten auch Sikhs, Buddhisten, Jains oder Parsi kommen. Ohne eine panislamische Debatte in Gang setzen zu wollen, möchte ich darauf hinweisen, dass Indien der zweitgrößte islamische Staat der Welt ist: 11 Prozent der 980 Millionen Inder sind Muslime. Auch die könnten kommen. Dies verblüfft die Öffentlichkeit. Indien wurde als das Land der heiligen Kühe und der Mitgiftmorde verkauft.

Ergänzt wurde dieses Bild von den deutschen Kirchen. Für sie war das größte Problem Indiens immer die Bevölkerungsexplosion. Die Antibabypille mit Brot für die Welt zu mischen war daher die Lösung. Und schließlich die halblinke taz-Szene und die Studenten: Sie bereisten Indien unter dem Vorwand, die psychosozialen Auswirkungen von Biogasanlagen auf die Dorfbevölkerung zu untersuchen. Ausgerechnet so ein Land soll uns nun Entwicklungshilfe leisten? Und das im HighTech-Bereich?

Szenenwechsel nach Indien. Zwischen Indien und Deutschland mag es kulturelle und religiöse Unterschiede geben – aber was die alltägliche Lebensphilosophie betrifft, so gibt es durchaus auch Gemeinsamkeiten. Sowohl hier als auch dort pendelt das Leben zwischen Gott und Gewinnmaximierung. Die breite indische Öffentlichkeit kennt Deutschland nur aus Hollywoods klischeehaften Kriegsfilmen. Einigen Kreisen sind Bach und Beethoven, Goethe und Grass ein Begriff. Ansonsten sind die Deutschen als humorlose Organisationstalente bekannt – und als das einzige Volk der Erde, das seine Unterwäsche bügelt. Kurz gefasst ist Deutschland ein fremdes Land für die Inder. Und ein unattraktives Land obendrein.

Statt an Deutschland sind die indischen IT-Fachkräfte hauptsächlich an Ländern wie den USA, England, Australien, Kanada oder Singapur interessiert. Dort leben tausende von Landsleuten, und vor allem wird dort Englisch gesprochen. Die Fachkräfte und auch ihre Familien können sich weit besser integrieren. Ethnische Infrastrukturen wie Läden, Schulen und Gebetshäuser sind vorhanden. Zudem ist ein zeitlich begrenzter Aufenthalt – wie ihn Deutschland plant – unattraktiv für Hochqualifizierte, die karriereorientierten Ehrgeiz mitbringen.

Begonnen hat der Export indischer Experten in den späten 80er-Jahren. Bill Gates brauchte dringend qualifizierte Fachkräfte. Damals schon arbeiteten viele Inder, die in Amerika studiert hatten, in gehobenen Positionen für US-Firmen wie Microsoft. Daher wussten sie auch, welches Potenzial in Indien steckt. Es war also kein Zufall, dass Gates persönlich mit seinem Topmanagement-Team Indien bereiste, um Fachkräfte anzuwerben.

Heute gibt es unterschiedliche Schätzungen, wie viele Inder im kalifornischen Silicon Valley beschäftigt sind. Der Spiegel schreibt von 750, Business Standard von 980 Firmen unter indischer Führung. Indien, besonders der Süden und der Westen, hat eine große mathematische Tradition. Der Vater der modernen Mathematik, Ramanujam, stammte aus Madras, jetzt Chennai. Jedes Jahr treffen sich an der Harvard-Universität die Mathematiker der Welt, um seine Theorien zu diskutieren. Es ist kein Wunder, dass sich Ramanujams Heimatstadt, das nahe gelegene Bangalore und Hyderabad zu High-Tech-Städten entwickelt haben.

Jährlich werden in Indien 65.000 IT-Fachkräfte ausgebildet. Die Besten von ihnen, etwa 15.000, sind Studenten von Eliteinstitutionen wie dem „lndian Institute of Technology“ und dem „Indian Institute of Management“. Die restlichen Absolventen stammen von Hochschulen des südlichen und westlichen Indiens. Vierzig Prozent der Studenten sind weiblich.

Diese Zahlen sind für Deutschland von großer Bedeutung. Nach offiziellen Angaben werden 30.000 Fachkräfte benötigt. Nach meinen Recherchen liegt diese Zahl jedoch bei 100.000. Woher sollen diese Fachkräfte kommen? Als Alternative wird Osteuropa gehandelt, aber mit hochgerechnet 8.000 Fachkräften sind auch dort die Kapazitäten begrenzt. In Anbetracht dieser Tatsachen wird Deutschland ohne indische Fachkräfte nicht auskommen. Trotz dieser ernsten Situation wird jedoch nicht gehandelt. Im ganzen Land werden irreführende Grundsatzdebatten geführt, und Politiker versuchen, billige Wahlkampfpunkte für sich herauszuschlagen.

Paradoxerweise wird in der indischen Öffentlichkeit kaum über dieses Thema berichtet. Das ist auch gut so – denn wenn in Indien bekannt würde, wie die Deutschen diese Diskussion führen, wäre wahrscheinlich erst recht kein Inder zu motivieren, hierher zu kommen.

Deutschland sollte sich ein Beispiel an Singapur nehmen, das sich mit attraktiven Angeboten aktiv um indische Fachkräfte bemüht. Und, Herr Rüttgers, nehmen Sie Ihren Spruch zurück und ersetzen Sie diesen durch einen anderen aus der konservativen Kiste: „Ein Herz für (K)Inder.“

Hinweise:

„Kinder statt Inder“ sichert Rüttgers einen Platz in der Ewigkeit

Die Deutschen sinddas Volk, das seine Unterwäsche bügelt

Für Millionen wurden EDV-Hobbybastler ausgebildet