nebensachen aus peking
: Verpatzte Rückkehr aus der Demokratie

Auf dem Kopf die schwarze Baseballmütze mit der leuchtenden Aufschrift „@-bian“, in der Hand die grünen Wahlkampffahnen der siegreichen taiwanichen Fortschrittspartei DPP – so wollte ich als Schlachtenbummler des neuen taiwanischen Präsidenten Chen Shui-bian vor meiner Haustür in Peking Fußball spielen und mal sehen, was meine Nachbarn dazu sagen. Doch wie groß ist meine Enttäuschung. Denn den meisten Bewohnern unseres Hauses ist an diesem Wochenende längst entfallen, dass nur eine Woche zuvor auf Taiwan der erste gewaltfreie und demokratische Regierungswechsel der langen chinesischen Geschichte stattfand. Sie wollen von mir wissen, ob ich denn aus Taiwan wie zuvor versprochen neue Mittel gegen die Kakerlaken im Haus mitgebracht habe. Es heißt nämlich, dass die taiwanischen Kakerlakengifte in Peking noch nicht so abgenutzt seien und es dort außerdem für Kinder verträgliche biologische Mittel gebe. Insofern war meine Reise völlig umsonst. Nur das Wonnegefühl nach einem demokratischen Rausch bringe ich mit in die chinesische Hauptstadt zurück. Doch das ist nicht vermittelbar.

Mütze und Fahne von Chen Shui-bian sorgen allerdings dafür, dass mich Zhang Wen vom 12. Stock auf die Wahlen in Taiwan anspricht. Er ist derzeit Chinas populärster Filmstar und wir kennen uns wegen der Töchter im gleichen Alter, die tagsüber zusammen spielen. Zhang war natürlich noch nie auf Taiwan, außerdem hat er das Wahlsystem dort nicht verstanden, und ich soll ihm erklären, wieso man auf der Insel mit 40 Prozent der Stimmen schon Präsident werden kann, weil man doch in Frankreich, wo seine Frau herkäme, 50 Prozent der Stimmen benötige, um Präsident zu werden. Das ist alles sehr kompliziert, weil ich auch nicht genau weiß, warum es in Taiwan nur einen und in Frankreich zwei Wahlgänge gibt. Aber die Frage Zhangs offenbart doch ein wenig, wie überrascht – um nicht zu sagen kenntnislos – selbst aufgeklärte Pekinger Intellektuelle heute nach Taiwan schauen. Zwar haben demokratische Dissidenten gerade während der letzten Tage die demokratische Beispielfunktion der Insel wieder und wieder gelobt. Doch wer nicht sein Leben in den Dienst der demokratischen Sache stellt, für den ist Taiwan in Peking sehr weit weg. Und das muss gar nichts mit der Anti-Taiwan-Propaganda der Partei zu tun haben. Vielmehr wird einer wie Zhang heute so sehr von der blühenden Künstler- und Intellektuellenszene der Hauptstadt aufgesogen, dass sich all seine Sinne auf die neuen Schaffensmöglichkeiten vor Ort konzentrieren. Das große Ganze fällt aus seinem Blick.

Aber auch unter den gut unterrichten Nachbarn hat der Wahlsieg Chen Shui-bians keine Wellen geschlagen. Lisa Kronick, Werbeagentin vom 5. Stock und mit einem Amerikaner verheiratet, ist selbst Taiwanerin und gebietet mir sofort, die Mütze abzunehmen. Man dürfe jetzt nicht übermütig werden. Wie sie sind viele Taiwaner, die die Welt gut kennen, unglücklich mit Chens Erfolg. Er gefährdet ihr Nischenleben, zumal in Peking. Und wenn man auch die Demokratie als solche bejaht, so graut manch weltläufigen Taiwanern doch insgeheim vor Chen und seiner bodenstämmigen Wählerschaft, die von weitem betrachtet außer der Eigenständigkeit ihrer Insel nichts im Kopf hat.

Doch egal ob Taiwaner oder Chinesen – eher ungern, manchmal fast abweisend reagiert meine sonst so freundliche und gesprächige Nachbarschaft auf das Thema Taiwan. Und das hat auch etwas mit mir zu tun. Ein Deutscher mit taiwanischer Wahlkampfmütze, das passt nicht, das ist fast schon eine unerlaubte Einmischung in innerchinesische Angelegenheiten. Ein Westler wie ich versteht eben nur Demokratie und alles andere nicht: Wie schwierig es Chinesen und Taiwaner miteinander haben, und wie gern die Familie unter sich bleibt, wenn es kracht. GEORG BLUME