Der AKW-Typ Biblis hat noch Zukunft

Auch in Brasilien wartet die Atomlobby sehnsüchtig auf eine deutsche Hermes-Bürgschaft

ANGRA DOS REIS taz ■ José Eduardo Costa Mattos ist zuversichtlich: „In fünf bis sechs Jahren kriegen wir Angra III gebaut.“ Ein Drittel der vorgesehenen Kosten von gut 3 Milliarden Mark wird durch eine Hermes-Bürgschaft abgesichert, da ist sich der Nuklearingenieur sicher. „Atomkraft hat Zukunft, sehen Sie sich nur den Erdölpreis an.“

Sein halbes Leben lang hat der Endvierziger auf dem Atomgelände von Angra dos Reis an Brasiliens malerischer Südostküste gearbeitet – seit 1976. Heute steht auf seiner Visitenkarte „Oberbauleiter“. Beim rekordverdächtigen Bau des Zwillingsmeilers Angra II war er von Anfang an dabei. Nach 23 Jahren soll das AKW vom Biblis-Typ nun endlich ans Netz. „Seit Ende 1999 sind wir bereit“, sagt José Eduardo Mattos. Die noch ausstehenden Genehmigungen der Umweltaufsichtsbehörde und der Nationalen Kommission für Atomenergie sind für ihn reine Formsache.

Runde 10 Milliarden Dollar hat Angra II bereits verschlungen – das entspricht einem Zehntel der öffentlichen Auslandsschulden Brasiliens. Profitiert haben davon vor allem deutsche Banken und die Siemens-Tochter KWU, die jetzt auf die Fortsetzung des deutsch-brasilianischen Atomprogramms hofft. „Es war das schlechteste Geschäft in der Geschichte unseres Landes“, meint dagegen Ruy de Goes, Leiter der Antiatomkampagne von Greenpeace Brasilien. „Außerdem hat Deutschland dadurch die Parallelprojekte der Militärs erst ermöglicht.“ Die kochen allerdings nur noch auf Sparflamme, seitdem in Brasília wieder Zivilisten regieren.

Der Westinghouse-Meiler Angra I, seit 15 Jahren in Betrieb, ist im Volksmund als „Glühwürmchen“ bekannt – allein im vergangenen Jahr schaltete er sich achtmal automatisch ab. Die Dampfgeneratoren rosten rasch. Immer noch gibt es keinen Evakuierungsplan für die Bevölkerung. In einem Radius von 15 Kilometern wohnen 100.000 Menschen. Die Bundesstraße Rio–Santos, einzig möglicher Fluchtweg im Katastrophenfall, ist seit Jahren renovierungsbedürftig. Wenige Stunden entfernt liegen die Metropolen Rio und São Paulo. Was mit dem Atommüll geschehen soll, ist völlig unklar – die verbrauchten Brennstäbe von Angra I sind in großen Wasserbecken neben dem AKW eingelagert.

Ebenfalls vor Ort liegen die Bauteile für Angra III bereit – seit nunmehr zwanzig Jahren. Geschätzte Kosten bis heute: 1,5 Milliarden Dollar. Wie schon in der Vergangenheit argumentiert die Atomlobby mit der Macht des Faktischen. Dass die Bilanzen des Staatsbetriebs Electronuclear trotzdem ausgeglichen sind, liegt an einem einfachen Trick: Der Bundeshaushalt übernimmt den Differenzbetrag zwischen den Marktpreisen und den tatsächlichen Kosten des Atomstroms. Selbst die Nationale Kommission für Atomenergie räumt ein, dass dieser fast doppelt so teuer sei wie jener aus Erdgas-Thermalkraftwerken.

„Wer sich vor Augen hält, wie die Atomkraft bei uns bisher gemanagt wurde, dem schwant für Angra III nichts Gutes“, meint der Nuklearphysiker Ildo Sauer von der Universität São Paulo. „Das staatliche Kontrollsystem funktioniert einfach nicht.“ Dagegen setzt sich Rios Gouverneur Anthony Garotinho vehement für Angra III ein. Auch Präsident Cardoso ist dafür, hält sich jedoch bedeckt, solange über die Finanzierung aus Deutschland noch nicht entschieden ist. Angra III stand auf der „Streichliste“ der umstrittenen Exportprojekte, die die Grünen vor zwei Wochen durchgesetzt haben wollen – im Gegenzug zur Genehmigung der Hermes-Bürgschaft für ein AKW in China.

Doch gestrichen ist gar nichts. Entschieden werde, sobald der Antrag „reif“ sei, hieß es vergangene Woche aus dem federführenden Wirtschaftsministerium. José Eduardo Costa Mattos ist zuversichtlich. GERHARD DILGER