Vom Buh- zum Boommann

„Der Unternehmer, Rückkehr eines Leitbildes?“: Eine Diskussion im Roten Salon

Jeder einigermaßen postmoderne Studienabbrecher Ende zwanzig kennt das Problem: Irgendwann muss es den Eltern erklärt werden. Die sind meist irgendwie Angestellte, haben vielleicht einmal den Arbeitsplatz gewechselt oder zweimal, waren vielleicht auch mal arbeitslos, haben dann aber einen neuen Job gefunden.

Man selbst ist irgendwie Praktikant und hat schon drei Karrieren nicht begonnen, weil irgendwas nicht geklappt hat. Erklärungsnotstand. Also: Heute ist doch alles anders, Internet und so, Vernetzung, Selbstständigkeit, die klassischen Ausbildungsmechanismen funktionieren nicht, es gibt keine geraden Wege mehr, es kommt nur darauf an, was man kann.

Das ist eigentlich nicht besonders überzeugend. Erstaunlicherweise kommt man damit aber fast immer durch, denn im Vergleich zu der Verunsicherung, die gerade durch die Milieus der 50- bis 60-Jährigen geistert, ist das eigene Durchwurschteln geradezu straight. Selten konnte man das so gut beobachten wie bei der öffentlichen Livesendung „Der Unternehmer – Rückkehr eines Leitbildes“ von radio kultur im Roten Salon. Moderatorin Barbara Sichtermann hatte Kerstin Schulenburg eingeladen, eine Unternehmensberaterin, Michael Herzog, einen „Unternehmer aus dem Bereich Informationstechnologie“, Roger Bendisch, einen Risikokapitalvergeber, und den Politikwissenschaftler Claus Leggewie, „der einige Zeit in den Vereinigten Staaten gelebt hat“. Publikum fehlte weitgehend, aber es war ja auch Sonntagmorgen, die Jungunternehmer erholten sich wahrscheinlich noch, und die anderen saßen ja vielleicht am Radio.

Eigentlich sollte es um die Frage gehen, wie es passieren konnte, dass der Unternehmer, laut Sichtermann in den Sechziger- und Siebzigerjahren in der Öffentlichkeit nicht eben wohlgelitten, auf einmal als Lichtgestalt und Retter der Welt vor zu viel Staat und zu viel Armut dasteht. Wie konnte er vom Buhmann zum Boommann werden? Gibt es eine Unternehmerseele, und wie sieht sie aus?

Aber dazu kam es nicht wirklich, da Moderatorin und die drei Vertreter der Wirtschaft aneinander vorbeiredeten, als würde ei- ne Mutter-Kinder-Unterhaltung über die Zukunft der Letzteren in verteilten Rollen nachgestellt. Claus Leggewie saß da und sah aus, als betrachte er das Ganze als soziales Echtzeitexperiment.

Das ging dann etwa so: Moderatorin sagt: „E-Commerce, das sieht für Außenstehende aus wie Kettenbriefe, geht das immer so weiter? Wer weiß so etwas überhaupt? Wer checkt das ab?“ – Risikokapitalvergeber sagt: „Nicht ein Unternehmer ist gefragt, wir achten darauf, dass die Neugründungen als Teams funktionieren.“ – Moderatorin sagt: „Das ist ja sympathisch, wenn Unternehmer sich selbst verwirklichen, aber all die Scheinselbstständigen, die feindlichen Übernahmen, das ist ja ein Begriff aus dem Kriegsvokabular.“ – Unternehmensberaterin sagt: „Jeder ist selbst verantwortlich. Man muss sich dem Markt anpassen.“

Da gab es wenige Begriffe, die alle Beteiligten auch nur annäherungsweise ähnlich verstanden. Für die einen hieß soziale Verantwortung, das zu machen, was der Markt verlangt, für die andere hieß es, sich um die anderen Menschen zu kümmern. Oder die Krise des Bildungssystems: Die einen beklagten, die Ausbildung sei nicht praxisnah genug, die andere verstand die Forderung nach umfassender Bildung als Klage über mangelndes humanistisches Basiswissen. Oder, wie Barbara Sichtermann es in einer Frage formulierte, nachdem Claus Leggewie angemahnt hatte, zur Unternehmensgründung dürfe man kein Fachidiot, sondern müsse man umfassend gebildet sein: „Muss ein Ingenieur Geige spielen?“ TOBIAS RAPP