Das Ende einer Formschwäche

Christoph Stölzl, früherer Direktor des Deutschen Historischen Museums, meldet sich als Kandidat für den Job des Kultursenators zurück. Der selbstgefällige Vorstoß ist risikoreich, aber zugleich ist der Mann schwer zu verhindern

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Der Auftritt kam der späten Einwechslung eines Fußballstars gleich, der seit Monaten auf der Ersatzbank schmort. Nach einem Foul musste ein Mitspieler vom Platz, und er hatte lautstark sich angeboten. Noch an der Seitenlinie übernahm er das Kommando und passte geschickt den Ball, der zum Siegtreffer führte. Jetzt ist wieder die Rede von ihm – ebenso wie von Christoph Stölzl.

Keine 24 Stunden waren nach dem Rücktritt der Kultursenatorin Christa Thoben (CDU) am letzten Donnerstag vergangen, da gab der Ex-Direktor des Deutschen Historischen Museums (DHM) und heutige Feuilleton-Chef der Welt seine Quasibewerbung um das Amt im Berliner Senat ab. Stundenlang parlierte Stölzl in einem Nachrichtensender über Kunst und Kultur, nicht ohne es an Positionen zur hauptstädtischen Kulturpolitik fehlen zu lassen: Land und Bund müssten die Finanzierung der hiesigen Kulturinstitutionen „neu ordnen“. Zuschüsse für Staatstheater sollten ebenso wie die für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz aus den Länderkassen erfolgen.

Und was die spezifische Situation des mit 70 Millionen Mark Defizit belasteten Haushalts der Berliner Kultursenatorin angeht, die angesichtes der Ausweglosigkeit permanenter Unterfinanzierung zurückgetreten war, landete Stölzl einen Treffer. „Das Land Berlin muss wissen, was ihm seine Kulturförderung wert ist“, profilierte sich Stölzl. Subventionen, personelle und wirtschaftliche Strukturen der Bühnen gehörten auf den Prüfstand. Neu ist das nicht, aber bemerkenswert. „Hauptsache spektakulär“ war immer Stölzls Devise.

Während die politische Szene noch in Distanz zu Stölzl verharrt – weder der mächtige CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky noch Eberhard Diepgen haben sich für oder gegen Stölzl bisher positioniert – markiert der Feuilleton-Mann bereits die Interimslösung. Klug ist das nicht, wie der Ex-Kultursenator Ulrich Roloff-Momin meint, der einer Außenbewerbung das Wort redet, weil der quirlige Stölzl nicht zum CDU-Dunstkreis Diepgens zählt. Doch Stölzl ist das egal, hat er sich doch noch nie an die politische Kleiderordnung gehalten.

Schon als Kritiker ihn als ziemlich rechten Knochen der Museumslandschaft beschimpften, hat das Stölzl nicht angefochten. Im Gegenteil. Der Direktor des DHM (von 1987 bis 1999) steckte das weg, als handle es sich um ein Kompliment. Kokett bezeichnete er sich früher als „Reaktionär“. Die konservative Haltung gehöre gewissermaßen zum integralen Bestandteil seines Jobs als Historiker und Sammler ausrangierter Dinge deutscher Geschichte, die er fein säuberlich dokumentierte und im DHM recht populistisch inszenierte.

Zum Eklat über Stölzls politischen Hintergrund war es Anfang der 90er-Jahre gekommen, als bekannt wurde, wie sich dieser gegenüber jüdischen Quellen kritisch geäußert hatte. „Da muss man misstrauisch sein“, hatte Stölzl in den 80er-Jahren geschrieben und damit den Zorn der Jüdischen Gemeinde auf sich gezogen. Die Terminologie vom „zersetzenden Bazillus“ erinnerte Andreas Nachama, damals Leiter der Berliner „Topographie des Terrors“ und heute Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, zu Recht an „Stürmer-Deutsch“.

Nicht viel besser beurteilten Historiker die Vielzahl der Ausstellungen im DHM nach dem Fall der Mauer, wo Stölzl alles daran setzte, das „Ostige“ als exotisch-irrwitzige Auszeit unserer Geschichte zu präsentieren. Den Erfolg des Konzepts verbuchte Stölzl wie ein Medienmogul die Einschaltquoten als quantitative Größe: 500.000 Besucher im DHM, ein Beweis für „die Wichtigkeit“ des Museums.

Dass Stölzl sich oftmals so weit aus dem populistischen Fenster lehnen konnte, verdankt er der Rückendeckung eines anderen Historikers: seinem Intimus Helmut Kohl, der den früheren Chef des Münchener Stadtmuseums als Gründungsdirektor ins DHM lobte. Gemeinsam mit Kohl entschied Stölzl über den Standort des DHM erst gegenüber dem Reichstag. Nach 1989 rückte er mit dem DHM ins östliche Zeughaus. Und auch der jetzige Erweiterungsbau kam per Kaminrunde im Kanzleramt unter Kohl zustande.

Seit 1998 ist alles anders, auch für Stölzl. Die Nähe zu Kohl, den er im Wahlkampf noch als Unterstützer der Kultur gerühmt hatte, rächte sich nach dem SPD-Wahlsieg Gerhard Schröders. Stölzl hatte im Vorfeld der Bundestagswahl den desginierten Kulturbeauftragten Michael Naumann des „intellektuellen Hochmuts“ bezeichnet und die SPD-Kulturpolitik als „wenig glanzvoll“ diskriminiert.

Naumanns Antwort folgte auf dem Fuße: Die Bewerbung Stölzls auf das Präsidentenamt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, den deutschen Olymp für einen Kulturfunktionär, nannte Naumann „nicht erste Wahl“. Stölzl scheiterte auch an der Mitsprache der Länder. Bund und SPD-geführte Länder ließen den Kandidaten im Regen stehen, Chef wurde der Frankfurter Klaus-Dieter Lehmann.

Seither leidet Stölzl unter Formschwäche. Das Amt des DHM-Chefs gab er 1999 auf. Im gleichen Jahr zog er sich ins Feuilleton der Welt zurück, gleichwohl, um von dort aus die hiesige Kulturpolitk zu kommentieren. Vielleicht meint er darum, niemand anderer als er kann die Welt aus Kunst, Theater und Wissenschaft retten. Von der Ersatzbank hat er sich jetzt lautstark erhoben, er will die Einwechslung. Sein Auftritt ist zu befürchten.