Fischers Fritzen sind wir nicht

Um jeden Preis wollen Renate Künast und Fritz Kuhn den Eindruck vermeiden, sie seien das Dream-Team des virtuellen Parteivorsitzenden Fischer

aus Berlin und StuttgartPATRIK SCHWARZ und HEIDE PLATEN

Es gibt keinen gemeinsamen Auftritt, und das ist Absicht. „Jeder kämpft für sich alleine“, sagt Renate Künast bei ihrer Pressekonferenz im Berliner Abgeordnetenhaus, aber „fünf Minuten“ bevor sie den Saal betrat, habe sie noch mit Fritz Kuhn in Stuttgart telefoniert. Der Vorgang ist charakteristisch für das Verhältnis der beiden neuen Bewerber um den grünen Parteivorsitz: Man spricht sich ab und meidet sich doch.

Nichts hat beiden in den letzten Monaten das Leben schwerer gemacht als der Ruf, Joschka Fischers Paketlösung zu sein. So treibt Kuhn wie Künast die Furcht um, wenn sie sich aneinander ketten, könnten sie miteinander untergehen. Demonstrativ beteuerten beide gestern, auch mit der dritten Bewerberin um die zwei Sprecherposten, der bisherigen Vorsitzenden Antje Radcke, klarzukommen. „Das wäre auch ein mögliches gutes Team“, sagt Künast über sich und ihre Konkurrentin, aber telefoniert haben die zwei Frauen gestern Vormittag nicht.

Hinter den Planspielen steckt die Ahnung, der Parteitag am 23./24. Juni könnte letztlich nur einen Fischer-Zögling an die Spitze lassen. Wenn es freilich zu einer Doppelspitze von Kuhn und Künast kommt, wird der Umgang mit dem virtuellen Parteivorsitzenden ein wesentlicher Maßstab für den Erfolg der grünen „K. und K.“-Periode sein. Ohne die Bundesprominenz geht es nicht, das wissen selbst Fundis wie Christian Ströbele. Doch ähnlich wie bei den Sozialdemokraten träumen viele Grüne an der Basis und in den Landesverbänden den alten Traum von Parteien an der Macht: Sie wünschen sich für ihre Partei ein Eigenleben statt ein Leben von Regierungs Gnaden. Sind die Kabinettsposten erst mal vergeben und die Abgeordneten in die Koalitionsdisziplin eingebunden, verschwindet zum Bedauern des Parteivolks meist das eigenständige Profil – sei die Partei nun grün, rot, schwarz oder gelb.

Renate Künast war gestern bemüht, sich als Verfechterin einer Partei zu präsentieren, die gegenüber Fraktion und Regierung selbstbewusst auftritt. „Ich habe keinen virtuellen Parteivorsitzenden“, sagte sie in Berlin, warnte aber zugleich vor einem „virtuellen Raum“, in dem zu Lasten der demokratisch gewählten Gremien gekungelt wird. Um Fischer einzubinden, will sie ihn zur Kandidatur für den Parteirat drängen.

Fritz Kuhn kam gestern Vormittag pünktlich auf die Minute, keine Sekunde zu früh. Und sah für seine Verhältnisse ziemlich zerknautscht aus. Diesmal hatte der baden-württembergische Fraktionsvorsitzende der Grünen, der sonst schnell vor den Kameras ist, es nicht eilig. Keine Interviews vorher, kurz angebunden hinterher. Die Pressekonferenz im ersten Stock des Stuttgarter Landtags währte keine halbe Stunde. „Ja“, verkündet er mit leiser Stimme: „Ich habe mich entschlossen, im Juni in Münster zu kandidieren.“ Das überraschte niemanden so recht. Dass das „kleine Fritzle“, das sich zum profilierten Landespolitiker auf beinharter Realo-Linie mauserte, vom Ländle forstrebt, war im letzten Jahr immer wieder kolportiert und lange dementiert worden. Sechs Abgeordnete der Landtagsfraktion hatten in den letzten Wochen den Aufstand gegen ihn geprobt. Sie warfen ihm autoritären Führungsstil und Unfähigkeit zur Teamarbeit vor.

Die Entscheidung für Berlin, so Kuhn, sei ihm „nicht leicht gefallen“. Und, versicherte er, er gehe „ohne Rückfahrkarte“. Er werde, ob er nun Bundesvorstand werde oder nicht, mit dem Ablauf dieser Legislaturperiode sein Landtagsmandat niederlegen und nicht als Spitzenkandidat in den Landtagswahlkampf gehen. „Viele Leute“ hätten ihm zu diesem Schritt geraten. An der Parteispitze wolle er für eine Profilierung der Bundespartei sorgen, bei der „die ökologische Frage wieder ins absolute Zentrum der Partei gerückt wird“. Die Grünen müssten außerdem wieder attraktiv für junge Wähler werden, sich auf Hochschule, Bildung, Forschung und Technik konzentrieren. Es sei ihm egal, ob das mit Renate Künast oder Antje Radcke geschehe. Er wolle „keine Paketwahl“.

Dazu, dass er als Protegé von Joschka Fischer an die Macht käme, äußerte sich Kühn nur spärlich. Fischer sei für ihn „nicht ausschlaggebend“ gewesen. Er wolle sich auch gegen den virtuellen Vorsitzenden durchsetzen und an der Spree „frische Fische fischen“.