Der gute Zwingherr

Wahlsieger Wladimir Putin sieht sich als starken Zar, der die widerstreitenden Interessen zum Konsens zwingt

aus MoskauKLAUS-HELGE DONATH

Die Botschaft des Fernsehwahlabends auf Russlands privatem Sender NTW war eindeutig: Die liberale Intelligenz Moskaus hat Angst. Dabei bestätigte der Wahlausgang nur das Ewartete. Der drahtige Judoka und Ex-KGBler Wladimir Putin erhielt bereits im ersten Wahlgang mit 52,5 Prozent die absolute Mehrheit. Nach dem Kommunisten Gennadi Sjuganow, der rund 30 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, folgte abgeschlagen mit knapp 6 Prozent Grigori Jawlinski, der als einziger Kandidat demokratische Werte nach westlichem Muster vertritt.

Das Unbehagen der liberalen Öffentlichkeit beruht nicht allein auf Putins Durchmarsch. Schließlich hatte sich die wirtschaftsliberale „Union der Rechtskräfte“ (UdR), in der sich Vorzeigereformer der Jelzin-Epoche wie Anatoli Tschubais, Boris Nemzow und Ex-Premier Sergej Kirijenko zusammengeschlossen haben, vor den Wahlen für Putin stark gemacht. Die überwältigende Tendenz der nach paternalistisch-autoritären Maßnahmen verlangenden Wähler muss die Liberalen indes beunruhigen. Ihr Kalkül, nach den Wahlen größeren Einfluss auf den Präsidenten ausüben zu können, droht nicht aufzugehen.

„Es besteht eine große Gefahr für die Demokratie“

Dies spüren die liberalen Politiker. So räumte ein sichtlich verunsicherter Sergej Kirijenko auf die Frage, ob die russische Demokratie bedroht sei, erstmals ein: „Eine große Gefahr besteht in der Tat.“ Die liberale Publizistin Jewgenija Albatz warf der UdR mit zitternder Stimme vor, durch ihr Mandat für Ex-Spion Putin habe die Partei „ihre Wähler verkauft“. Grigori Jawlinski hatte den Hoffnungen der UdR von Anfang an widersprochen. Putin sei nicht das Mysterium, zu dem ihn die Medien stilisierten. Auftreten, Methoden, Stil und Wortwahl sprächen eine unmissverständliche Sprache; er will den Geheimdienstjargon nicht ablegen und kann die Leningrader Hinterhof-Sozialisation nicht leugnen.

Wladimir Putin hat den Ehrgeiz, mehr als nur Präsident zu sein, er möchte auch die Rolle einer nationalen Führungsfigur ausfüllen. Kurzum: der gute Zar, der widerstreitende Interessen zum Konsens zwingt. Diskussion und Interessenabwägung gehören nicht zum Instrumentarium. Insofern setzt Putin den traditionellen russischen Führungsstil fort, der mit modernem Konflikt- und Interessenmanagement nichts gemein hat.

Vor die Wahl gestellt, mit den Kommunisten oder den Liberalen zu paktieren, wird Putin sich wohl auf Erstere verlegen. Eine einfache Arithmetik. Geht man davon aus, dass mindestens die Hälfte der Putin-Wähler wie die Kommunisten autoritäre und paternalistische Modelle bevorzugen, umfasst dieses Potenzial zwei Drittel der Wählerschaft. Warum sollte er deren Unterstützung verspielen im Tausch gegen weniger als ein Drittel liberal gesinnter Bürger?

Mit den Kommunistenund mit den Oligarchen

Den Kommunisten ließe sich zwar durch eine konstruktive Wirtschaftsreform der Boden entziehen. Dazu müsste Putin wagen, den Finanzmagnaten und Oligarchen den Kampf anzusagen. Sie sind es, die die Entwicklung einer Mittelklasse blockieren und ausländisches Kapital davon abhalten, in Russland zu investieren. Überdies müsste er Bürokratie und Nomenklatura, die System und Seilschaften aus der Sowjetzeit genutzt haben, um sich auf Kosten des Staates zu bereichern, die Wurzeln kappen. Ob er das will, ist fraglich. Schließlich ist er selbst Kind dieser Sowjetbürokratie, die Ende der 80er-Jahre die Revolution von oben implementierte, nicht zuletzt um ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen.

Putin formulierte die Trennung von Politik und Wirtschaft zwar als notwendiges Ziel. Von Finanzmogul Boris Beresowski erntete er ein mitleidiges Lächeln: „Absolut richtig, nur unmöglich auszuführen.“ Beresowski gehörte zum vertrauten Kreis der so genannten Familie, einem Zweckbündnis enger Mitarbeiter nebst naher Verwandtschaft, und diente Jelzins Tochter Tatjana als Vermögensverwalter. Zielsicher lancierte sie Putins Thronbesteigung. Wenn die Remonopolisierung der heimischen Wirtschaft helfe, sich gegen ausländische Konkurrenz zu behaupten, meinte Putin kürzlich, sei dagegen nichts einzuwenden. Beresowski hatte gerade ein Filetstück der Aluminiumindustrie erworben. Familiäre Abhängigkeit und Großmachtallüren scheinen den Handlungsspielraum für Reformen einzugrenzen.

Gelingt es dem Präsidenten nicht, die Ursachen der sozialen Unzufriedenheit zu beseitigen, wird er auf Nebenschauplätzen Politik inszenieren. Eins dieser Felder wird das Verhältnis zwischen Zentrum und Regionen sein. Schon gibt es Drohungen, Gouverneure nicht mehr wählen, sondern vom Kreml ernennen zu lassen. Unter dem berechtigten Vorwand, kriminellen Auswüchsen in den Provinzen den Garaus zu machen, würde der Kreml eine der wichtigsten demokratischen Errungenschaften rückgängig machen: das Wahlrecht des Bürgers und den fragilen Föderalismus. Russland im Rückwärtsgang.