Vom Leben lernen

■ Modellprojekt Stadt als Schule soll im Sommer auch in Hamburg starten

Dass Schule immer Spaß macht, glauben nicht einmal die Eltern, die das ihren Kindern erzählen. Lernfaul und desinteressiert quälen sich die meisten mehr oder weniger erfolgreich durch ihre Schulzeit. Das soll nun anders werden. Ab diesem Sommer startet an mindestens sechs Hamburger Lerneinrichtungen das Projekt „Die Stadt als Schule“. Dann findet der Unterricht der siebten bis zehnten Klasse nur noch an drei Wochentagen in der Schule statt, den Rest füllen Praktika in Behörden und Betrieben.

Einen Staatsanwalt in den Gerichtssaal begleiten, in einer Computerfirma PC-Kenntnisse erwerben: Die Liste der möglichen Tätigkeiten ist lang. Ein Schüler, der sein Praktikum zum Beispiel in einer Tischlerei absolviert, weiß hinterher nicht nur über Handwerkliches Bescheid, sondern auch über Holzschutzmittel, Papierverarbeitung und Klimakatastrophe. Wissensvermittlung im realen Leben: Christa Goetsch, schulpolitische Sprecherin der GAL-Bürgerschaftsfraktion, ist begeistert über die „neue und richtige Unterrichtsform“.

Das Konzept wird bereits seit 1992 in Berlin erprobt. Es soll vor allem denjenigen zugute kommen, denen ansonsten der Schulabbruch droht. Denn wer beim Pauken von Vokabeln und Formeln die rechte Motivation vermissen lässt, steht am Ende mit einem schlechtem oder gar keinem Schulabschluss da – und meist ohne Perspektive. Das Beispiel Berlin lässt hoffen: Dort erlangten dank „Stadt als Schule“ immerhin mehr als 60 Prozent der potenziellen „Hinschmeißer“ einen Abschluss – das Projekt wurde mit Lob und Preisen überhäuft. „Dieser Schulform gehört die Zukunft“, sagt Doris Grieser vom Berliner Projekt.

Die integrierte Haupt- und Realschule Friedrichsstraße auf St. Pauli gehört zu den ersten Hamburger Bildungseinrichtungen, die sich jetzt auf das Vorhaben einlassen. Rektorin Jutta Warlies sieht dem Modellversuch allerdings mit gemischten Gefühlen entgegen, denn noch gebe es Bedenken, „ob genügend Praktika-Stellen aufgetan“ werden könnten. Die SchülerInnen sind da optimistischer: Auf 20 TeilnehmerInnen soll das Projekt zunächst begrenzt sein, und schon jetzt liegen doppelt soviele Anmeldungen vor.

Sebastian Leber