Mit der Macht des Berliner Bären

Auf der heutigen Sondersitzung des Abgeordnetenhauses wird viel über die Berliner Kultur und den Rücktritt von Christa Thoben geredet werden. Die Kultur der Macht, die in Berlin schon viele Opfer forderte, wird aber außen vor bleiben

von RALPH BOLLMANN

Heute werden sie wieder heucheln. Pflichtgemäß müssen die Koalitionsparteien CDU und SPD ein paar Krokodilstränen vergießen, wenn das Abgeordnetenhaus am Vormittag in einer Sondersitzung über den Rücktritt der Kultursenatorin Christa Thoben debattiert. In Wahrheit aber fühlt sich der alte Westberliner Klüngel pudelwohl – ganz gleich, ob CDU-Chef Eberhard Diepgen oder SPD-Kollege Peter Strieder: Niemand mehr, der ihre Kreise stört.

Lang ist die Liste der Politiker, die am stumpfsinnigen „Weiter so“ der Berliner Biedermänner verzweifelten. Die Hamburgerin Lore-Maria Peschel-Gutzeit (SPD), als Justizsenatorin an die Spree geholt, flüchtete vor den Berliner Parteifreunden in ihre Heimatstadt. Der einstige Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) setzte sich nach Brandenburg ab, weil er dem Strahlenkranz von Sonnenkönig Eberhard zu nahe kam. Einzig Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD), ein Polit-Import aus Wiesbaden, ging nicht freiwillig. Das mussten die Genossen selbst besorgen.

Mehr als zehn Jahre nach dem Fall der Mauer funktioniert die Landespolitik noch immer nach den alten Westberliner Prinzipien. Die große Koalition als Chance, einen breiten Konsens über den nötigen Wandel herbeizuführen – das war die Theorie. Die CDU-SPD-Regierung als größtmögliches Bollwerk gegen jede Form von Veränderung – das ist die Praxis.

Vor allem die CDU profitiert davon, dass diese Politik des Stillstands dem Sicherheitsbedürfnis vieler Wähler entgegenkommt. Gleichzeitig wissen die Koalitionäre aber auch, dass sie dem Wandel zumindest symbolisch Rechnung tragen müssen. Dieses Bedürfnis suchten sie mit den neuen Namen zu befriedigen, damit im Kern nur alles bleibt, wie es ist.

Nehmen die Neuzugänge die Erneuerungsrhetorik von Diepgen & Co. jedoch beim Wort, lassen die alten Frontstadt-Kämpen sie gnadenlos auflaufen. Schuld waren im Zweifel immer die Reformer selbst. Nach Fugmann-Heesings Abgang hieß es in der SPD, sie habe zu starrsinnig an ihren Zielen festgehalten. Thoben hingegen muss sich von ihrer Partei vorwerfen lassen, ihr frühzeitiger Rücktritt offenbare mangelnden Durchhaltewillen. Besonders schlimm wird es, wenn der Glanz der Gaststars bei Publikum und Medien die drögen Strippenzieher in den Schatten stellt. Thoben, die den Erneuerungskurs der designierten CDU-Vorsitzenden Angela Merkel schon früh unterstützte, zog alsbald alle Hoffnungen auf einen Abschied von der muffigen Diepgen-Union auf sich. Das hat die Neigung des Bürgermeisters nicht erhöht, seiner Stellvertreterin den Rücken zu stärken.

Halten konnte sich von den Polit-Importen bislang nur der graue Innensenator Eckart Werthebach (CDU), der zudem peinlichst darauf achtet, dass er den Berliner Unions-Granden nicht ins Gehege kommt. Als Dienstherr der Polizei plädiert er für Law and Order, als Personalchef des Landes gegen Personalabbau – das ist genau jener populistische Mix, mit dem auch Diepgen und Fraktionschef Klaus Landowsky hausieren gehen.

Ihren Höhepunkt erreichte diese Politik der Beharrung, als der Innensenator den Gewerkschaften im Wahlkampf den Verzicht auf Kündigungen vertraglich garantierte. Damit hatte sich der Senat seines wichtigsten Druckmittels entledigt, mit dem er den nötigen Umbau der Verwaltung notfalls auch gegen Widerstände der Beschäftigen hätte durchsetzen können.

Doch ein Blick auf das Zahlenwerk des Landeshaushalts zeigt: jetzt scheitern die Beharrer an den nackten Zahlen. An allen Ecken und Enden des Etats klaffen Löcher. Im Kultur- und Wissenschaftsetat fallen die Probleme besonders drastisch aus, weil die Mittel fast vollständig für Personalkosten gebunden sind. Aber auch in anderen Ressorts laufen den Fachsenatoren die Kosten davon, etwa der SPD-Gesundheitssenatorin Gabriele Schöttler bei den Krankenhäusern.

Dass die Berliner SPD mit den alten Köpfen auf keinen grünen Zweig mehr kommt, haben ihr die Wähler oft genug attestiert. Aber auch bei der CDU ist nach fast zwei Jahrzehnten Diepgen das böse Erwachen programmiert. Ohne personelle Alternativen, wird sie eines Tages implodieren wie die Kohl-Union im Bund.

Politik als Aufgabe auf Zeit: In Berlin galt das bislang nur für jene, die von außen die Kreise störten. Das könnte sich bald ändern.