Küssen auf der Straße bleibt in Polen straffrei

Mit seinem Veto verhindert Präsident Kwasniewski ein totales Porno-Verbot. Gleichzeitig fordert er eine Nachbesserung des Gesetzes

WARSCHAU taz ■ Der Präsident machte es spannend. Wochenlang rätselten die Polen, ob er dem totalen Porno-Verbot zustimmen oder sein Veto einlegen würde. Wetten wurden abgeschlossen und Unterschriften gesammelt. Am Montagabend fiel die Entscheidung: Nein zum Antipornogesetz.

Am nächsten Morgen lasen die Polen in den Zeitungen: „Präsident verteidigt Porno“ und „Schweinkram nach wie vor legal“. Empört reagierte Bischof Stanislaw Stefanek, der die Abteilung „Familie“ im polnischen Episkopat leitet. Der konservativen Zeitung Zycie sagte er: „Die Entscheidung zeigt, dass der Präsident das Programm unterstützt, in den Menschen die niedrigsten Instinkte zu wecken.“ Marian Pilka, Vorsitzender der Christlich-Nationalen Vereinigung, formulierte es noch schärfer: „Kwasniewski verteidigt die Demoralisierung. Pornographie ist die Quelle des Verbrechens. Mit seinem Veto spricht er sich für das Schlechte aus.“

Befürworter des Vetos ergriffen nicht das Wort. Doch Umfragen zufolge sind sie in der Mehrheit. Denn das vom Parlament im Januar verabschiedete totale Pornoverbot hatte auch den Vertrieb von Erotikmagazinen mit Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren geahndet. Die Museen hätten ihre Sammlungen säubern müssen, da antike Vasen, auf denen es Sagengestalten miteinander treiben, dem „religiös-sittlichen Empfinden“ der Polen nicht mehr zugemutet werden dürften. Auch aus Filmen hätte jede Liebesszene, in der es zu sehr knisterte, getilgt werden müssen. Immerhin sollten dem, der es wagte, „Geschlechtsorgane beim Akt zu zeigen“, Haft bis zu zehn Jahren drohen. Selbst das Küssen auf der Straße, meinten die Abgeordneten, sei als sexuelle Handlung vor Kindern einzustufen und streng zu bestrafen. In Polen gibt es längst ein Gesetz, das harte Pornographie mit Kindern, Tieren oder in Verbindung mit Gewalt verbietet. Hier drohen Strafen bis zu fünf Jahren.

Mit der Begründung seines Vetos hat sich Kwasniewski viel Mühe gegeben. Denn dadurch verhindert er nicht nur das totale Porno-Verbot, sondern auch den zweiten Teil des Gesetzes, der höhere Strafen bei Vergewaltigungen vorgesehen hatte. Während Kwasniewski zufolge das bisherige Antipornogesetz völlig ausreicht, bedauert er, dass er den zweiten Teil des Gesetzes nicht von seinem Veto ausnehmen konnte. Kwasniewski fordert daher die Abgeordneten auf, das Gesetz umzuformulieren und bald erneut vorzulegen. Andernfalls werde er selbst eine Gesetzesinitiative zum Schutz der Opfer von sexuellen Gewaltverbrechen in den Sejm einbringen.

Zwar ist theoretisch denkbar, dass die Abgeordneten mit einer Dreifünftel-Mehrheit das Veto überstimmen. Doch schon das totale Pornoverbot war mit nur einer Stimme Mehrheit verabschiedet worden. GABRIELE LESSER