Der Zufall als Protagonist

Ein erblindender Fotograf und andere Rätsel: Der Roman „Kometen“ des Hamburgers Stefan Beuse lohnt eine zweite Lektüre  ■ Von Frank Keil

Als vor zwei Jahren das Bändchen Ich schieße Gummibänder zu den Sternen eines gewissen Stefan Beuse erschien, sprach man hinterher zu Recht von einem Achtungserfolg. Hier trat einer an, der mit Blick in den nächtlichen Himmel simple, alltägliche Geschichten erzählte, schnörkellos und bar jedes Ironiezwanges; zudem teilte sich einer mit, der sich in der Waren- und Popwelt auskennt, ohne damit in jeder Zeile angeben zu müssen. Das machte Spaß zu lesen, das erzeugte einen unaufdringlichen Wiedererkennungseffekt.

Mittlerweile saß Beuse in Klagenfurt mit am Tisch, es folgte der eine oder andere Literaturpreis, auch die Jury des Hamburger Förderpreises für Literatur ließ sich nicht lumpen. Irgendwann in dieser Zeit wurde Beuse zum zweiten Mal Vater. Gute Voraussetzungen also, dass ein junger Dichter den Sprung eine Etage weiter nach oben schafft. Mit Kometen, einem eher schmalen Roman, soll dieses Vorhaben unterstrichen werden.

Und tatsächlich: Kometen ist ein lohnenswertes Buch, das im Vorbeigehen die Kunst des stillen Beobachtens pflegt. Erzählt wird in einer Art Rahmenhandlung vom Schicksal eines Fotografen, der allmählich erblindet. Gewohnt, die Welt in einem scharfen Bild zu bannen, verschwimmt diese zunehmend. Während einer Zugfahrt lernt er einen schwitzenden Amerikaner kennen. Der macht ihm ein seltsames Angebot: Er soll mit nach Amerika kommen und die Bäume fotografieren, die der Amerikaner fällt. Später findet man in einer amerikanischen Holzhütte eine einzelne Hand.

Das ist noch nicht alles: Nora arbeitet in einer Nur-hier-Bäckerei, die der Fotograf regelmäßig aufsucht. Marie schickt E-Mails in die USA. Ein japanischer Astronom entdeckt einen noch unbekannten Kometen. In einem nächtlichen Park ereignet sich ein Mord. Verschiedene Stränge fließen so ineinander, Personen begegnen sich und trennen sich wieder. Weshalb es sich lohnt, ist man am Ende angelangt, zurück an den Anfang zu gehen.

Manches Rätsel nähert sich der Auflösung, manch zunächst überlesenes Detail entfaltet seine Bedeutung. Und auch die poetischen, eher langsamen Passagen aus der Wahrnehmung des Fotografen heraus erstrahlen hell beim zweiten Lesen und vermögen jenen Sog zu erzeugen, der da fordert: Mehr! Mehr davon!!

Und doch: Einiges aus der Welt der umherirrenden Personen hakt, klemmt fest, wirkt zu gewollt und bei aller Absichtslosigkeit – dem Prinzip des Zufalls ist die Hauptrolle überantwortet – so schwer beabsichtigt. Das ist schade, weil bedauerlich. Es verwässert auch Beuses Talent, mit wenigen Federstrichen komplexe Szenen zu erden. Doch sollte man sich nicht zu sehr darüber grämen. Eines Tages wird der Erzähler Beuse über den Konstrukteur Beuse obsiegen. Darauf darf man sich schon jetzt freuen.

Stefan Beuse: „Kometen“, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000, 160 Seiten, 29,90 Mark