Sechs alte Damen und ihr Jahrhundert

■ Neu im Kino: „Mit Haut und Haar“ von Crecentia Dünsser und Martina Döcker

Es läuft über Frauen besser, etwas über Geschichte zu erzählen. Männer haben eine vorgeschriebene Rolle in der Geschichtsschreibung, während die Frauen, von denen man immer behauptet, ihnen würden die Rollen vorgeschrieben, oft fähig sind, Dinge zu tun, die man nicht für möglich gehalten hätte.“ So erklärte einst Rainer Werner Fassbinder, warum er die deutsche Geschichte so gerne exemplarisch anhand von Frauenschicksalen behandelte.

Der Dokumentarfilm „Mit Haut und Haar“ von Martina Döcker und Crecentia Dünsser ist ein schöner Beleg für diese These. Denn die sechs alten Frauen, die hier in betont formellen Interview-Situationen von ihren Leben und damit auch von der deutschen Geschichte erzählen, haben zwar von keinen romanhaften Heldentaten oder Tragödien zu berichten. Aber sie alle entsprechen auch nicht den Rollenvorstellungen, die man von Frauen hat, die zwischen 1907 und 1925 in diesem Land geboren wurden.

Die Fragen der beiden Filmemacherinnen sind zugleich behutsam und präzise: Was wissen die Frauen von ihrer Geburt? Auch von der ersten Menstruation erzählen sie bereitwillig – alles Fragen, die man gerne auch der eigenen Mutter gestellt hätte und sich nie getraut hat. Nur einmal sträuben sich die Damen. Von der ersten Liebesnacht wollen sie nicht vor laufender Kamera erzählen: „Noch solch eine Frage, und ich gehe!“, sagt die eine, und jeder gute Dokumentarfilmer weiß, dass solch eine spontane Verweigerung im Film beredter ist als das freimütigste Geständnis.

Aber ansonsten erzählen sie in der schönen Tradition der Oral his-tory von der Kindheit, der ersten Liebe, vom 3. Reich und darüber, was ihrer Meinung nach dem Tod auf sie zu kommt. „Das weiß ich nicht, da lass ich mich überraschen“, sagt die Olympiasiegerin im Skilaufen von 1936. Und die Schauspielerin Tana Schanzara, seit den 70er Jahren als Ruhrpott-Urgewalt in vielen Filmen zu sehen, meint zum Thema Liebe und Beziehungen lapidar: „Mensch sein ist schon sehr schwierig.“

Alle sechs Frauen können sich sehr gut artikulieren, sie gehören auch eindeutig zur Elite, denn alle waren in ihren Berufen (Theaterwissenschaftlerin, Unternehmerin, Schneidermeisterin, Erzieherin) erfolgreich und von Männern unabhängig. So wirkt der Film durch die Auswahl seiner Protagonistinnen fast schon utopisch, denn alle haben sie (auch nach eigener Einschätzung) ein „geglücktes Leben“ geführt, und von den Zipperlein des Alters erzählen sie sehr abgeklärt, manchmal fast heiter.

Leider wollten die beiden Regisseurinnen auch unbedingt noch Filmkunst machen. Die wunderschönen Porträtaufnahmen in Schwarzweiß reichten ihnen nicht, und so packten sie zwischen die einzelnen Erzählblöcke noch extreme Nahaufnahmen von der nackten Haut einer der sechs Damen. Diese Landschaften aus gefalteter Haut wirken geschmäcklerisch, die Absicht schimmert zu deutlich durch: Ja, auch alte Körper können schön fotografiert werden.

Einige Male schneiden die Filmemacherinnen die Gespräche auch ineinander und setzen die Stimmen rhythmisch gegeneinander. Dann scheinen die sechs alten Frauen für einige Momente zusammen das Gedicht des Jahrhunderts aufzusagen. Wilfried Hippen

Heute, Freitag, sowie vom Sonntag bis Dienstag jeweils um 18.30 Uhr im Kino 46