Ist ja nur ein Lied

Das wahre Leben ist keine Dauershow: Travis übten sich in der Columbia-Halle in Understatement

In England sind die Phasen des Ruhms einer großen Band immer dieselben. Am Anfang steht die Artschool, dann tingeln die vier Jungs irgendwann an durch die Pubs, später sieht der erste Popjournalist in ihnen die Zukunft der Rockmusik. Der erste Longplayer erscheint, die Weeklies schreiben von einem Meisterwerk. Top Ten, der erste Nummer-Eins-Hit, Extase auf den Inseln. Und wir hier auf dem Kontinent haben den Salat. Wir müssen uns erst mühsam das Phänomen erarbeiten. Warum gerade Oasis? Warum Suede? Und seit ein paar Monaten vor allem: Warum Travis? Die Band aus Schottland hat gerade erst die zwei wichtigsten Brit-Awards kassieren dürfen und darf sich beste Band mit dem besten Album nennen.

„The man who“ steht seit Wochen auf Platz 1 der LP-Charts, mit „Why does it always rain on me“ haben sie sich unsterblich gemacht. Ein Lied, das gerade die Welt erobert. Deshalb war der Eintritt für das Travis-Konzert in der Columbia-Halle auch ungefähr doppelt so hoch, wie er noch vor drei Monaten gewesen wäre. Was aber nichts daran änderte, dass die Halle gut gefüllt war.

Nun konnte man bereits einiges über das herausgekehrte Understatement der Travis-Jungs lesen. Hier machen anscheinend vier junge Menschen Musik der Musik wegen. Und nicht wegen der Mädchen, der Drogen und alldem. Sie sind die Antithese zu Oasis. Keine Skandale, niemals Exzesse, und beim Verlassen der Hotelzimmer werden noch schnell die Betten gemacht. Das klingt nicht nur langweilig, das ist auch langweilig. Das Geheimnis des Erfolges scheint es zu sein: Das wahre Leben ist keine Dauershow. Und wahrscheinlich fragen sich ganz normale Menschen wirklich dauernd: „Why does it always rain on me?“

Auf Platte kann man den dementsprechend netten Pop auch wirklich nett finden, aber auf einem Konzert will man eher Exaltiertheiten, Posen und Glamour. Oder? Ja. Man merkte dem Publikum an, dass es sich von den vier Jungs etwas mehr erwartet hatte, als dass sie bloß ihre Songs vortrugen wie ein Kreuzberger Liederbarde mit Backing-Band. Und als er dann kam, ganz plötzlich, der Hit, das Manifest, der Grund des Konzertbesuchs, wollte der Funken einfach nicht rüberspringen. Gut, ein richtiger Feuerzeug-Schwenk-Song ist er ja auch nicht, aber dass es dann zu so gar keinen Verbrüderungsmomenten beim Refrain kam, war doch etwas enttäuschend. Das lag aber einfach an dem verdammten Understatement von Fran Healy und seinen Jungs. Bloß nicht das Publikum jetzt zu irgendwas auffordern, ist ja nur ein Lied.

Manchmal, es waren ganz seltene Momente, blitzten kleine Popstargesten auf. Andy Dunlop an der Gitarre machte den Rocker und Fran Healy sprang auch schon mal in die Lüfte. Aber immer nur kurz. Und danach war alles wieder ganz normal und man hatte jedes Mal das Gefühl, am liebsten würden sie sich jetzt für ihre Ausfälle entschuldigen.

Dann die Zugaben. Healy demonstrierte solo, dass er auch ganz gut eine Karriere als Folkbarde hätte einschlagen können. Und die Coverversion von Britney Spears „Baby, hit me one more time“ hatte Witz, ließ die Frage aber weiter im Raum stehen, warum ausgerechnet Travis gerade dabei sind, Oasis vom Britpop-Thron zu stoßen.

ANDREAS HARTMANN