Tusche auf Bildschirm

In der Berlinischen Galerie werden die Grenzen geöffnet: Der Fred-Thieler-Preis für Malerei geht in diesem Jahr an die aus Norwegen stammende Videokünstlerin Anne Katrine Dolven

von SANDRA FRIMMEL

Man wird beobachtet. Kalt und feindselig bauen sich die monumentalen Fürstenskulpturen in der Halle des Lapidariums der Berlinischen Galerie auf, so dass man wechselnd vor Furcht und Ehrfurcht erschauert – zugegeben, auch vor Kälte. Zuflucht vor dieser vermeintlichen Überwachung bieten derzeit die Arbeiten der Norwegerin Anne Katrine Dolven, die anlässlich der Verleihung des mit 30.000 Mark dotierten Fred-Thieler-Preises für Malerei an die Künstlerin in diesem Übergangsdomizil ausgestellt sind. Fred Thieler, der im vergangenen Jahr verstorbene Berliner Maler des Informel, stiftete diesen Preis all jenen, die „Positionszeichen“ in der Entwicklung zeitgenössischer Kunst setzen und deren Lebens- und Schaffensmittelpunkt in Deutschland liegt. Hübsch gesagt. So wird dieser Preis seit 1992 alljährlich im Rahmen einer Einzelausstellung in der Berlinischen Galerie verliehen. Bisher unter anderem an Eugen Schönebeck, K. H. Hödicke und Walter Libuda. Das sind alles Männer. Und Maler. Anne Katrine Dolven ist weder Mann, noch ist sie ausschließlich Malerin.

Entsprechend groß ist das Spannungsfeld. In Dolvens fast monochrom weißen Gemälden, deren geometrische oder geschlungene Formen sich erst nach eingehender Betrachtung, bedingt durch Betrachterstandpunkt und Lichteinfluss, aus der vermeintlich einheitlichen Oberfläche zu lösen beginnen, integriert sie wesentlich Bewegung. Fast wächst in ihnen Farbe über die eindeutige Zuordnung zur Malerei hinaus. Sie bewegt sich. Und sie verändert sich. Die Gemälde sind in keinem Moment mit sich identisch. Und das ist aufregend, wenn auch manchmal etwas zu stark an die Oberfläche gebunden.

Anne Katrine Dolven ist aber auch unbedingt Videokünstlerin. So, wie sich ihre malerischen Arbeiten der schleichenden Bewegung zuneigen, tendieren ihre Videos zwar nicht zum Stillstand, doch zu einer stark reduzierten Bewegung. In „Januar“ von 1997 sieht man lange Zeit nichts außer einer schaumigen weißen Fläche, deren Kronen manchmal Bläschen spucken. Nach einiger Zeit tauchen zu Vogelgezwitscher immer wieder zwei nicht genau zu erkennende Formen aus dieser Fläche auf: Brustwarzen. Für Dolven zeigen sie ein auch sehr persönlich zu nehmendes Changieren zwischen In-sich- und Für-Andere-Sein, zwischen abstrakt und gegenständlich, zwischen bewegt und unbewegt. Verwirrend, prickelnd, leicht. Das ein Jahr später entstandene Video „Still Life“ zeigt eine rote Tulpe vor weißem Hintergrund, die mit einem Pinsel von weißer Farbe überzogen wird, bis sie schließlich vollständig in diese Farbkruste eingehüllt ist. Der Prozess des Malens wird in einem Video eingefangen.

Malerische und filmische Mittel überlagern sich bei A. K. Dolven beständig, sie ignoriert eine strenge Mediengrenze und hebt sie auf. Ihre Videos sind malerisch, ihre Bilder sind bewegt. „Für mich ist das alles eins“, sagt die Künstlerin und tritt scharfen Abgrenzungsversuchen mit Unverständnis entgegen – Ideen benötigen Raum, und der lässt sich schwer in Gattungen fassen. Fast als Bestätigung für ihre Arbeitsweise bekleidet Dolven auch seit kurzer Zeit die erste Professur für Kunst an der Akademie im norwegischen Trondheim.

Und auch die Jury der Berlinischen Galerie scheint die Notwendigkeit einer Begriffs- und Spartenerweiterung zu sehen, da der in den Statuten für Malerei bestimmte Preis ausdrücklich auch Dolvens Videoarbeiten einbezieht. Die Entscheidungsfindung verlief kontrovers und nahm wesentlich mehr Zeit in Anspruch als üblich, doch die endgültige Wahl wurde einstimmig getroffen. Nicht das Medium stand im Mittelpunkt, sondern die verwendeten Mittel. Diese sind vor allem malerische. Nicht nur die Motive in Dolvens Videos beziehen sich auf Gemälde oder malerische Gesten, auch die Technik bleibt der Malerei verhaftet. Ihre Ansichten neigen zu einem kaum veränderbaren Motiv. Zeit wird zu Zeitlosigkeit, ob im Gemälde oder im Video, die Bilder unterliegen einer Kontinuität.

Der Preis für Malerei wird somit kaum umgewidmet, nur erfreulich erweitert. Der Umgang mit dem Medium dominiert über das Medium. Grenzen öffnen sich. Doch sind feste Grenzen nicht manchmal das, wonach man sich in schwachen Augenblicken sehnt?

Bis 24. 4., Sa. bis Do., 10–20 Uhr, im Lapidarium der Berlinischen Galerie, Hallesches Ufer 78