UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS LEHNT GEBRAUCH DER STASI-AKTEN AB
: Zweierlei Maß

Zu Recht betont der SPD-Politiker Volker Neumann, Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zum Spendenskandal, das neu aufgetauchte Stasi-Material zur CDU-Affäre sei unter Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien erstellt worden. Dieser Hinweis reicht als Begründung aus, um Protokolle über abgehörte Telefongespräche nicht als Beweismittel im Ausschuss zuzulassen.

Wer einerseits richterlich angeordnete Überwachungsmaßnahmen sorgfältig gegen den Schutz der Persönlichkeitsrechte abgewogen sehen will, darf nicht andererseits jedwede Unterlagen benutzen, wenn sie nur den eigenen Zwecken dienen. Vor diesem Hintergrund hat die Forderung des bündnisgrünen Fraktionsvorsitzenden Rezzo Schlauch, die Erkenntnisse der Gauck-Behörde zum Finanzgebaren der CDU sollten „in die politische Bewertung“ aufgenommen werden, einen unangenehmen Beigeschmack. Das ist aber nicht das einzige Problem. Besser als am Beispiel der jüngsten Enthüllungen lässt sich kaum nachweisen, dass in Deutschland nach wie vor mit zweierlei Maß gemessen wird. Empört zeigen sich die Anwälte von Altkanzler Kohl. Sie bezeichnen es als „Tiefpunkt der Verleumdungskampagne“, dass die „rechtswidrigen und oft mit verbrecherischen Mitteln gewonnenen Erkenntnisse“ jetzt benutzt würden, um ihrem Mandanten zu schaden. Gut gebrüllt, Löwen.

Die Erkenntnis ist nicht neu, dass die Stasi menschenverachtende und kriminelle Methoden benutzt hat. Dies hat bisher niemals dazu geführt, dass deren Informationen ihrem Wesensgehalt nach angezweifelt worden wären. Ganz im Gegenteil. Was in Stasi-Akten zu lesen war, galt der Öffentlichkeit stets als unumstößliche Tatsache. Die Betroffenen fanden mit abweichenden Darstellungen kaum je Gehör. Auch hat der Schutz der Persönlichkeitsrechte im Umgang mit den Protokollen bislang eine nur untergeordnete Rolle gespielt.

Der bloße Verdacht, jemand könne der Stasi zugearbeitet haben, reicht aus, dass Journalisten die Akten lesen dürfen. Informationen über das Privatleben derjenigen, für die sie sich interessieren, erhalten sie somit auch dann, wenn sich der Verdacht gar nicht bestätigt. Wird der Verdacht hingegen bestätigt, dann gab es bislang für die Betroffenen keine Gnade – ganz unabhängig davon, ob sie für ein paar Monate als Studentin oder als Schülerin Kontakte zum Geheimdienst unterhielten oder über Jahre hinweg als Stütze des Systems tätig waren.

Es ist gerechtfertigt, dass der Untersuchungsausschuss keinen Gebrauch von den Telefonprotokollen machen will. Die unterschiedliche Behandlung von westdeutschen Politiker-Ikonen und von ehemaligen Bewohnern der DDR ist in ihrer Scheinheiligkeit schwer zu ertragen. BETTINA GAUS