■ UrDrüs wahre Kolumne
: Überlebensmittel

Ein tiefer Verachtungsblick sei heute mal wieder den Bremer Planern gewidmet, die es doch in der Tat fertiggebracht haben, aus dem einst so schaurig schönen MultiKultiSchmud-del des Bahnhofsvorplatzes eine ultracoole Verkehrsanlage gemacht zu haben, in der nicht einmal mehr Platz ist für den vertrauten Charme des rot-weiß bekrempten Wurstpavillon im 50er Jahre-Stil. Wo aber solches geschieht, da geht die Seele einer Stadt in den Arsch und dort findet sich am Ende nur noch das bizarre Grinsen von Ronald McDonald. Ist natürlich denen egal, für die sich die Frage „vom Rost oder außer Pfanne“ sowieso nicht stellt ...

Und Bildungssenator Lemke ist doch ein echter Willi Wacker! Dem neo-faschistoiden Zeitgeist auch bei den sozialdemokratischen Lämpels zum Trotz lehnt er die Wiedereinführung von Kopfnoten für Ordnung, Fleiß und Betragen ab, obwohl dieser Vorstoß von der neuen CDU-Heiligen Santa Angela bei den Schwarzpädagogen der Elternvereine nicht nur klammheimliche Zustimmung findet: Dafür geben wir unter uns Bewegungsveteranen mal eine Zwei plus und drohen den Kopfnoten-Apparatschicks schon mal vorsorglich Kopfnüsse an.

Ein lieber alter Stasi-Freund versprach mir dieser Tage die diskrete Zusendung von Protokollen der abgehörten Telefongespräche zwischen Bernd E. Neumann und Henning Scherf in den 60er Jahren: „Ziemlich harter Stoff – danach kapierst du, warum der Nashorn-Bürgermeister in der babylonischen Gefangenschaft der großen Koalition steckt“, hat er dazu mit jenem fiesen Grinsen gemurmelt, das ihn immer dann auszeichnet, wenn er von so richtig perversem Schweinkram spricht.

An den Machenschaften solcher Leute aber hängt die Zukunft des Niederdeutschen Theaters ebenso wie das Schicksal der Pferde auf der Bremer Rennbahn – eine Schande! Und am Ende wird doch noch der junge Eckhoff als Galopper des Jahres gesattelt und mit kräftigen Gertenhieben an die stählerne Kandare gezwungen, da kennen die doch keine Hemmungen. Sollen ja auch alle ADAC-Mitglieder sein, Kempowski-Leser, Hakle-Feucht-User oder gar Schlimmeres.

Milchbuben-Rechnungen machen im Zusammenhang mit dem gesundheitssenatorischen Bündnis wider den Allohol einmal mehr jene Medizinmänner auf, die darauf verweisen, dass jeder vierte Krankenhauspatient wegen der fatalen Folgen des Suffs behandelt wird: Gäbe es nicht all die vielen kleinen Sozialstationen wie das Utbremer Stübchen, den Lustigen Schuster oder das Domino – die Stadt wäre doch voll von orientie-rungslosen, depressiven, manischen und sonstwie Verzweifelten, die sich vor Straßenbahnen werfen oder zu Jugendsekten konvertieren würden, um dem Elend zu entgehen.

Erst wenn das Schiff mit acht Segeln unter Kapitän Langstrumpf im Holzhafen einlaufen und der Menschheitstraum vom Paradies unter Yucca-Palme, Regenbogenfahne und Hanfpflanzen wahr wird. Erst dann, wenn die Hängematte unser Arbeitsplatz ist und niemand mehr vom Sharholder Value albträumt – erst dann fällt die Entscheidung über Apfelsaft oder Apfelkorn nicht mehr über unser arm klein Seelenleben, sondern nur noch über unsere Geschmacksknospen.

Bis dahin aber ist es noch unverhältnismäßig weit – und so lange werden Sixpack, Flachmann, Kruge und Tüte unser Überlebensmittel bleiben. Weiß jedenfalls ziemlich sicher

Ulrich „Ganya“ Reineking