Der Senat in Zeiten des Einlenkens

■ Im Streit um die Kulturförderung gibt es Zeichen für einen Kompromiss. Dem Vernehmen nach wird der Kulturetat doch noch erhöht. Aber durch die ritualisierte Debatte werden die Strukturen im Kulturbereich zementiert / Ein Essay

Seit einem halben Jahr wird in Bremen über die Höhe der Kulturförderung gestritten, jetzt deutet sich langsam ein Ende dieser 363sten Folge der immer gleichen Debatte an. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass es in die richtige Richtung geht“, sagte Bernd Hockemeyer, Präses der einflussreichen Handelskammer, am Mittwoch Abend bei einer Veranstaltung der Kulturinitiative Anstoß im Rathaus. Hockemeyer hatte die Sparpläne des Senats bei Kunst und Kultur mehrfach und besonders ausführlich in der taz kritisiert. Der Senat habe darauf zunächst mit Verwunderung reagiert, „um es vorsichtig zu sagen“, erinnerte sich Hockemeyer im Rathaus. Doch dem Vernehmen nach zeichnet sich bei der CDU ein Sinneswandel ab. Die SPD will nach Angaben der Kulturpolitikerin Carmen Emigholz endlich einen eigenen Haushaltsantrag in die Bürgerschaft einbringen, nach dem der Senat aufgefordert (im Antragsdeutsch: „gebeten“) wird, die kulturelle Vielfalt zu erhalten. Ob die SPD-CDU-Koalition am Ende das ganze Loch von rund zehn Millionen Mark stopft oder nur einen Teil, ist noch unbekannt. Für die Initiative Anstoß bekräftigte ihr Sprecher Horst von Hassel am Mittwoch die alte Forderung: „Um den Stand zu halten, muss der Etat um zehn Millionen Mark erhöht werden.“

Der Streit ist noch nicht zu Ende, aber sein Ergebnis wohl schon vorentschieden. Die anhaltende Diskussionsbereitschaft einer über alle sonst geltenden politischen Grenzen hinaus reichenden Bürgerini-tiative und namentlich das monatelange Beharrungsvermögen einer kleinen Gruppe um die Anstoß-Mitgründerin und Galeristin Katrin Rabus werden Wirkung haben. Der politische Druck war und ist zu groß oder besser viel zu unberechenbar, um folgenlos zu bleiben. So durften einige Kultureinrichtungen in der SPD-Fraktion auftreten. Und so senden auch CDU-PolitikerInnen Signale des Einlenkens. Spätestens mit Bernd Hockemeyers eindeutigen Äußerungen auch zu Gunsten der so genannten Breitenkultur dürfte der Umschwung begonnen haben. „Wir brauchen den Bereich Kultur, um zu erreichen, was Bremen lange fehlte: attraktiv zu sein“, glaubt der und steht damit nicht allein. Mit seinem Bekenntnis, dass Ausgaben für Kultur Investitionen sind, dürfte das schon anders sein.

Im Angesicht des sich abzeichnenden Kompromisses bleibt aber die Frage, wer am Ende was gewonnen hat. Die Bilanz steht im Zusammenhang mit der Bremer Sanierungslogik aus Investieren und Sparen und dem Unverständnis der Nicht-KulturpolitikerInnen aller an der Diskussion beteiligten Parteien, warum die Kultur im Gegensatz zu anderen Ressorts nicht sparen kann.

Die Kulturszene stellt ihre Forderung nach einer deutlichen Erhöhung des im Vergleich zu anderen Städten – je nach Berechnung – chronisch unterfinanzierten Kulturetats schon gar nicht mehr. Eigentlich müde von dem jahrelangen Streit, verteidigt sie nur noch den Status quo. Gemessen am Zeitaufwand für die Beteiligung an diesem öffentlichen Beschäftigungsprogramm ist jeder Erfolg ein Pyrrhus-Sieg. Gemessen an den Sparzielen des Senats dürfen sich Anstoß, der Kulturrat und Co. aber als SiegerInnen fühlen. Immerhin reicht ihr Engagement bis auf wenige Ausnahmen über Sankt-Florianismus und Kleingärtner-Aufstände weit hinaus. Statt der Kultur Workshops und Seminare zu verordnen, wäre es längst Zeit, den Spieß umzudrehen und von der Kultur zu lernen. In Sachen Kreativität und freiem Denken dürfte es (nicht nur) in dieser Stadt kaum einen besseren Think-Tank geben.

Doch statt auf die vorhandene Reformbereitschaft in der Kultur zu setzen, lässt der Senat in wechselnden Koalitionen diese Chancen seit Jahren ungenutzt. Im immer gleichen zweijährigen Ritual aus dem Streit um die Höhe des Etats und einer wenige Monate währenden Entspannungsphase leistet sich der Sanierungsfall Bremen die pure Energieverschwendung. In jeder dieser Entspannungsphasen beginnt die vom Kulturrat seit Jahren geforderte Diskussion über Inhalte. Doch kaum setzen sich die Beteiligten zum Beispiel zu den Themen „Regionalisierung der Soziokultur“, Musikförderung oder auch Umbau der Stadtbibliothek an einen Tisch, ist der Gesprächstermin schon wieder durch eine neue Spardiskussion eingeholt und zur Erfolglosigkeit verdonnert. Zwischendurch schmücken sich die PolitikerInnen mit Teil- oder Scheinerfolgen wie der gelungenen Besinnung der Bremen Marketing Gesellschaft auf vorhandene Qualitäten oder der Gründung der inzwischen umstrittenen Kulturcontrolling-Gesellschaft „kmb“. Die früher zum Teil als Abschiebestation des öffentlichen Dienstes genutzte Kulturverwaltung, fehlender Mut, mangelnde Kenntnis und dauernde Rotation von PolitikerInnen in diesem Bereich sind nicht mehr nur Teil des Problems, sondern eine Hauptursache.

Egal, ob die Lücke im Kulturetat ganz oder zum großen Teil geschlossen wird: Seit fünf Jahren hat die große Koalition im Kulturbereich so gut wie nichts erreicht. Statt eines Umbaus bewirkt das plumpe Spardiktat das Gegenteil: Die Kulturszene solidarisiert sich und widersteht ziemlich erfolgreich der klassischen Strategie Teile und Herrsche. Doch in der Folge werden die Strukturen oft mehr schlecht als recht konserviert.

Ein Wettbewerb der Konzepte in freiem Theater, der bildenden Kunst und anderen Sparten oder die Frage, ob die Förderung des Musiktheaters heute noch zeitgemäß ist, sind in dieser Situation gar nicht diskutierbar. Völlig unabhängig, höchstens gestört von der kulturpolitischen Diskussion hat das Bremer Theater die Musiktheaterfrage selbst beantwortet: Es setzt überdurchschnittlich viel Zeitgenössisches auf den Spielplan und will – ungeachtet der Relevanz der beauftragten KomponistInnen – verdeutlichen, dass das Musiktheater keine tote Kunstform ist.

Neben dem Bremer Theater als größtem Förderungsempfänger sind große Teile der Bremer Kulturszene nicht wegen, sondern trotz der auf nervtötende Weise geführten Spardebatte bemerkenswert aktiv. Bremen ist längst Kulturstadt gewesen, bevor das Wort zur Sprechblase wurde. Mit der Dauer des provinziellen und quälenden Verteilungskampfs verschwinden neue Ideen und Innovationen notgedrungen von der Tagesordnung. Der Kampf um den Status quo zementiert ihn.

Wenn der Senat sich jetzt nicht dazu durchringt, die Frist bis zur nächsten Sparrunde wenigstens um ein paar Monate zu verlängern, braucht keiner mehr damit anzufangen, von einem Umbau zu reden. Es baut dann nämlich niemand mit. Christoph Köster

Zitate: „Wir leben in einer immer virtuelleren Welt. In dieser Brave New World der Zumutungen wird Kultur eine wachsende Bedeutung haben. Schon jetzt ist Kultur einer der wichtigsten Arbeitgeber in unseren Städten. Doch in der aktuellen Diskussion will die Wirtschaft die Politik erwürgen. Aus Stadt- entwicklung wird Stadtmarketing. Aus Kultur wird Spaß- und Eventkultur. Das größte und reichste Land Europas ist nicht in der Lage, seinen Kindern eine Ganztagsschule anzubieten und seine öffentlichen Bauten zu erhalten. Ich fordere dazu auf, das Heruntersparen des Staates nicht mehr hinzunehmen.“ Peter Conradi, Präsident der Bundesarchitektenkammer

„Es geht mir um das Gemeinwohl, und da ist Kultur ein investiver Faktor. Die Politik muss Kultur als überwiegend harten Standortfaktor werten. Das muss auch finanzielle Auswirkungen haben. Der Kulturhaushalt in Bremen ist eindeutig unterfinanziert. Die gute Stimmung, alles was hier in Bremen aufgebaut wird, stellt der Senat dadurch in Frage.“ Bernd Hockemeyer, Präses der Handelskammer