Multipliziert mit X

Nach dem Erfolg von „Lola rennt“ stürmt X-Filme auch ins Verleih- und Musikgeschäft

von THOMAS WINKLER

Noch besteht die Firma nur aus drei Vorstandsmitgliedern und einem Assistenten. „Wir wollen“, sagt Anatol Nitschke vorsichtig grinsend, „uns keinen Riesenapparat aufbauen.“ Der Chef des seit der Berlinale aktiven X-Filmverleihs stapelt tief: „Erst mal klein anfangen.“ Doch der Dreijahresplan, den die Gesellschafter ins Auge gefasst haben, sieht Großes für die nähere Zukunft vor. In diesem Jahr reicht es noch, wenn man mindestens einen Film ins Kino bringt. Das wird im Oktober „Der Krieger und die Kaiserin“ von Tom Tykwer sein. Außerdem sind noch ein oder zwei kleinere Filme im Gespräch. Für 2002 vielleicht schon vier bis sechs. „Mindestens“, sagt Nitschke.

Sein Optimismus wird in der Branche als nicht ganz unberechtigt eingeschätzt. X-Verleih ist ein Ableger des sich langsam zum Konglomerat mausernden X-Filme Creative Pool, den die Regisseure Tykwer, Dani Levy und Wolfgang Becker mit dem Produzenten Stefan Arndt vor fünf Jahren gründeten. Damals hatte man die United Artists im Auge und wollte beweisen, dass es hier zu Lande möglich ist, im Gegensatz zum gescheiterten Filmverlag der Autoren anspruchsvollen Film und kommerziellen Erfolg miteinander zu verknüpfen. Mittlerweile hat man mit den auch internationalen Umsätzen von „Lola rennt“ bewiesen, dass die großen Versprechungen kein Luftschloss waren. Auch wenn andere X-Filme wie Levys „Meschugge“ oder „Absolute Giganten“ von Sebastian Schipper eher hinter den Erwartungen zurückblieben.

Der Erfolg von „Lola rennt“ war auch ein Erfolg des für einen deutschen Film ungewöhnlich konsequenten Marketings, das die Werbekampagne erfolgreich mit der Viva-Rotation abstimmte. Ein Konzept, das Nitschke, damals noch für den Berliner Verleih Senator, noch einmal bei „Absolute Giganten“ anzuwenden versuchte. „Da hat es nicht funktioniert“, wundert er sich noch heute.

Die Idee hinter X-Filme war auch immer, dass sich die kreativen Köpfe mit den für den Kommerz zuständigen zusammentun. So wollte man die Kontrolle über den Produktionsprozess behalten, Reibungsverluste möglichst klein halten und Synergieeffekte nutzen. Die Entwicklung eines eigenen Verleihs ist nur die logische Konsequenz.

Nitschke kam von Senator, wo er bereits mit X-Filme zusammen arbeitete. Seit der Berlinale sitzt er nun in der Schöneberger Hinterhof-Etage des Creative Pool. Marketing und Werbung finanziert X selbst, ansonsten stützt man sich vorerst noch auf die Vertriebsstruktur von Senator. „So einen Apparat können und wollen wir uns noch nicht leisten“, sagt Nitschke, „ich will den Druck nicht haben, eine gewisse Anzahl an Filmen machen zu müssen.“ Perspektivisch aber strebt man schon Kooperationen mit ähnlich gelagerten Firmen im Ausland an und will bereits in nächster Zukunft Filme von anderen Produzenten verleihen. Den Senator-Kollegen, die sich so die eigene Konkurrenz heranziehen, bleibt immerhin der Imagegewinn durch die Zusammenarbeit mit den angesagten X-Filmern.

Bereits seit April letzten Jahres ist auch X-Music aktiv. Katrin Erichsen, die zuvor nur die Projekte von X-Filme musikalisch begleitete, bietet nun auch anderen Produzenten ihre Dienste an. Auch hier die Idee, rechtzeitig alle Aspekte der Filmproduktion einzubinden. Erichsen berät den Regisseur von der ersten Drehbuchfassung an, verhandelt mit Künstlern und Plattenfirmen und koordiniert schließlich Filmmusik und Soundtrack. Ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil zu einer Zeit, in der Soundtracks zu den bestverkauften Platten zählen, die meisten Filmproduzenten sich über die Musik aber erst nach dem Endschnitt Gedanken machen.

Nitschke kann sich auch noch weitere Geschäftsfelder unter dem Label vorstellen: X-Fashion, X-Design oder X-Media. Dass sich der Kreativenpool so zum trägen Medienkonzern auswachsen könnte, diese Gefahr sieht Nitschke wohl: „Solange die Köpfe hier noch so eigen sind, muss man da aber keine Angst haben.“

Allerorten alte Beziehungen: So wie der Verleih mit Senator kooperiert Erichsen mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber Motor Music. Die in Hamburg ansässige Plattenfirma hat eine Option auf die Soundtracks der X-Filme, ihre Künstler werden bei der Auswahl bevorzugt in Betracht gezogen. Für die Originalmusik hat man mittlerweile einen eigenen Verlag gegründet, aber noch sieht Erichsen ihre Hauptaufgabe darin, dafür zu sorgen, „dass Plattenfirmen und Filmproduktion gut miteinander auskommen“. Nitschke prescht noch weiter vor: „Ich will mal dahin kommen, dass die Leute in Kino gehen und fragen: Was ist der neue Film von X? Schließlich stehen wir auch inhaltlich für etwas, und ich habe nichts dagegen, denen Marktanteile wegzunehmen, die für mich nur Filmvernichtungsfirmen sind.“ Solches Markenbewusstsein beim Konsumenten zu entwickeln ist die eine Sache. Der entscheidende Punkt wird sein, ob man „mit Inhalten, guten Produkten und einem ehrlichen Marketing die Leute ins Kino bringt“. Das, gibt auch Nitschke zu, ist bislang kaum mehr als eine Hoffnung. Oder ein Versprechen. Ein Versprechen, das der Erfolg von „Lola rennt“ der Branche gegeben hat.